Chronik/Niederösterreich

Verwahrloster Häftling: Beamte wieder im Dienst

Vier in Zusammenhang mit der Verwahrlosung eines Häftlings vorläufig suspendierte Beamte der Justizanstalt Krems-Stein sind zurück im Dienst. Eine entsprechende Meldung der Wochenzeitung Falter hat der stellvertretende Leiter der Strafvollzugsdirektion, Christian Timm, am Freitag bestätigt.

Nach Bekanntwerden des von der Wochenzeitung im Mai aufgedeckten Falls des 74 Jahre alten Häftlings waren drei Justizwachbeamte und die Leiterin des psychologischen Dienstes der Strafvollzugsanstalt durch die Disziplinarkommission im Justizministerium vorläufig suspendiert worden. "Eine solche Entscheidung kann durch Rechtsmittel angefochten werden. Die Betroffenen haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Disziplinarkommission hat die vorläufigen Suspendierungen gestern Nachmittag aufgehoben", sagte Timm. "Das Disziplinverfahren geht weiter, ebenso das gerichtliche Strafverfahren", erklärte der stellvertretende Leiter der Strafvollzugsdirektion.

Häftling verlegt

Der Häftling, der sich im Maßnahmenvollzug befindet, wurde in eine andere Justizanstalt verlegt. Bekannt wurde die Verwahrlosung bei einer Untersuchung im März. Der Mann hatte eingetrocknete Bandagen an den Füßen, unter den Verbänden wurden eitrige Geschwüre entdeckt, seine Zehennägel waren zentimeterlang. Der 74-Jährige habe seine Beine absichtlich nicht gepflegt, um auf sich aufmerksam zu machen, hieß es am Freitag in einer Aussendung des Falter unter Berufung auf ein justizinternes Gutachten.

Der Mann hat seine Strafe wegen versuchten Mordes längst verbüßt, kann aber, da er als geistig abnorm gilt, zeitlich unbefristet angehalten werden, solange ihm nicht von einem Psychiater bescheinigt wird, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Diese Überprüfung hat laut Gesetz "in regelmäßigen Abständen" - zumindest alle zwei Jahre - stattzufinden. Der Maßnahmenvollzug war vom zuständigen Vollzugsgericht Krems am 20. Februar 2014 ohne Anhörung des Mannes und ohne Einholung eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens verlängert worden. Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat nach Bekanntwerden des Falls die Auflösung der Vollzugsdirektion angekündigt. Sie wird im Laufe des kommenden Jahres von einer "Generaldirektion" abgelöst, die im Ministerium angesiedelt sein wird.

Für Kosmetik blieb keine Zeit mehr. Bei seiner überraschenden Häfenvisite erlebte Justizminister Wolfgang Brandstetter die Strafanstalt Stein am Donnerstag ungeschminkt. "Herr Bundesminister, melde zwölf Insassen ohne besondere Vorkommnisse": Gute 20-mal salutiert ein Abteilungskommandant vor dem hohen Besuch und betet schnarrend sein Sprücherl herunter, wenn sich die nächste Eisentür geöffnet und wieder geschlossen hat.

Die vom KURIER begleitete Visite führt teils durch gähnend leere Werkstätten, weil zu wenig Justizwachebeamte (Schichtdienst, Ersatzruhetage) im Dienst sind, um die Häftlinge zu bewachen und anzuleiten; die sitzen den ganzen Tag in den Zellen oder Gruppenräumen.

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Überwachung ist zum Beispiel in der Schlosserei ganz wichtig. Eine heikle Abteilung, weil sich die Häftlinge hier nicht nur die Gitter für ihre Zellenfenster selbst schmieden, sondern auch Schlüssel nachmachen können. Von den 286 Beamten für 819 Häftlinge, darunter 111 geistig abnorme Täter im Maßnahmenvollzug, sind im Schnitt 142 im Dienst. 180 würde man brauchen, um alle Insassen sinnvoll zu beschäftigen, zu betreuen, zu therapieren, sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Johann Deißenberger.

Privatsphäre

Derzeit fehlen noch weitere drei Beamte. Sie wurden suspendiert, nachdem der Falter den Fall des verwahrlosten Häftlings Wilhelm S. aufgedeckt hat. Der 74-Jährige, der mit eingerollten Zehennägeln und Geschwüren an den Beinen entdeckt worden war, befindet sich jetzt auf der Krankenabteilung. Es geht ihm gut, wird Brandstetter mitgeteilt. Extra aufsuchen will der Minister den geistig abnormen Häftling nicht, um dessen Privatsphäre nicht zu verletzen: "Ich will das nicht voyeuristisch ausschlachten, so etwas mache ich nicht."

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Sehr wohl aber will sich der Minister persönlich "die Brennpunkte anschauen, wo man etwas tun muss". Zum Beispiel: Dass nur eine Psychiaterin acht Stunden in der Woche anwesend ist, im Bedarfsfall kommt für ein paar Stunden eine Kollegin dazu. Dabei landen früher oder später die aggressivsten und gefährlichsten Gefangenen in Stein, etwa auch 120 besonders schwierige Drogenabhängige, die nun substituiert sind (Ersatzmedikation im Entzug). "Die können einem schon ganz schön was anschauen lassen", sagt ein Beamter, und seien auch nicht leicht zu therapieren: "Handauflegen und gut ist es, das spielen’s halt nicht."

Wer zum praktischen Anstaltsarzt will, wird vorgeführt, aber auf ein ausführliches Gespräch muss man Wochen warten. Da hört man beim Lokalaugenschein durch eine geschlossene Eisentür Gebrüll und Pumpern. "Was ist da los?", fragt der Minister. Drei Häftlingen dauert die Wartezeit auf den Arzt zu lang. In Freiheit sitze man auch ein paar Stunden im Wartezimmer, meint ein Justizbeamter.

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Als Sofortmaßnahme nach Auffliegen des Skandals um den vergessenen Insassen wurden zusätzlich monatliche Häfenvisiten durch den Arzt und Vorführungen beim Psychiater alle drei Monate angeordnet.

Diese Intervalle sind dem Minister zu lang. Er sagt spontan einen zusätzlichen Psychiater für 10 bis 20 Wochenstunden und einen Teil der 100 neuen Justizwache-Planstellen für Stein zu. Langfristig will er den Maßnahmenvollzug reformieren, bis hin zu einer eigenständigen neuen Anstalt.

Stein habe keinen schlechten Eindruck auf ihn gemacht, sagt Brandstetter: "Und es ist uns auch nicht egal, wie es den Beamten geht."