Chronik/Niederösterreich

Vergewaltigung in der Kuschelzelle

Die Justiz kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nach wochenlanger Aufregung um einen vernachlässigten Gefangenen und Gewalttaten unter Häftlingen wurde jetzt ein neuer brisanter Vorfall bekannt. Die berühmte "Kuschelzelle" in der Justizanstalt Krems/Stein wurde anscheinend zum Tatort eines neuen Verbrechens eines Gefangenen: Ein angeblich wegen Vergewaltigung verurteilter Mann soll in der Familien-Besuchswohnung seine Halbschwester missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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Die Tat geschah bereits im Februar 2013. Das Opfer habe damals aus Angst vor dem Mann, den es als extrem brutal einschätzt, nicht gewagt, Alarm zu schlagen. Sie hätte sich geschämt und Panik gehabt, dass der Mann ihr und dem Lebensgefährten, dem er körperlich deutlich überlegen war, etwas antun werde.

Erst jetzt rang sich die 43-jährige Angehörige zu einer Anzeige durch. Auch, weil der mutmaßliche Täter sie bedrohte und 2015 entlassen werden soll.

Die Frau hatte erst vor wenigen Jahren Kontakt zu ihrem Halbbruder aufgenommen. Sie besuchte ihn regelmäßig in der Justizanstalt. Am besagten Tag kam sie sogar gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten. Der Gefangene soll sich mit der Frau in einen Nebenraum zurückgezogen haben, angeblich, um "familiäre Angelegenheiten" ungestört zu besprechen. Dort soll er sie vergewaltigt haben.

Bedroht

Nach dem Vorfall weigerte sich die Frau, ihren Halbbruder weiter zu besuchen. Der rief sie aber mehrmals an und soll sie am Telefon bedroht haben. Das haben Justizbeamte, die Telefonate der Gefangenen überwachen, bemerkt und gemeldet, erklärt Christian Timm von der Justizdirektion, der die Anzeige und die Ermittlungen bestätigt.

Timm erinnert daran, dass er selber die Installierung von Notfall-Knöpfen in allen Räumen der Besuchswohnung veranlasst habe. Damit lässt sich die Wache alarmieren, die – wie der KURIER bei einem Lokalaugenschein sehen konnte – nur wenige Schritte entfernt stationiert ist.

Dass die Anzeige erst eineinhalb Jahre nach dem Vorfall erstattet wurde, macht allerdings manche misstrauisch. Christian Timm betont, dass Gefangene nur dann mehrstündige Besuche von Angehörigen bewilligt bekommen, wenn sie sich über längere Zeit vorbildlich verhalten.

"Die Besucher werden außerdem vorher und nachher befragt, aber es wurde nichts gemeldet", betont Timm. Er habe die Erfahrung gemacht, dass Angehörige gar nicht so selten Vorwürfe gegen einen Gefangenen erheben, um dessen Haftzeit zu verlängern. Der Beschuldigte wurde in eine andere Anstalt verlegt.

Seit 2005 wurden 12 Räume für Langzeitbesuche (drei bis 14 Stunden) in neun Gefängnissen eingerichtet. Der läuft ohne Überwachung ab und soll zur Kontaktpflege Gefangener mit Angehörigen – wie vom Gesetz gefordert – dienen, um die Integration nach der Haft zu erleichtern. In Stein gab es 2013 insgesamt 194 Langzeitbesuche für knapp 900 Gefangene (Quelle: Antwort des BMJ auf parlamentarische Anfrage).