Chronik/Niederösterreich

Stockerau: Der Gemeindebau ist noch nicht Geschichte

Wenn man es nicht besser wüsste, würde man sofort auf einen Neubau tippen. Der Zugang zu den Wohnungen ist barrierefrei, das neue Stiegenhaus ist in einem modernen, minimalistischen Stil gehalten. Dabei sah es in dem Wohntrakt des Stockerauer Lindenhofes vor nicht allzu langer Zeit ganz anders aus; die Zeit hatte an dem Gemeindebau aus den 50er-Jahren genagt. Ungedämmte Dachböden, zugige Fenster, kaputte Leitungen und feuchte Keller inklusive.

„Bis auf die Mauern ist jetzt nichts mehr alt“, sagt ÖVP-Finanzstadtrat Gerhard Dummer, der das Sanierungsprojekt koordiniert. Auch mit einer Photovoltaik-Anlage wurde der Lindenhof ausgestattet, geheizt wird künftig mit Fernwärme. Derzeit laufen die Arbeiten am letzten Gebäudeteil, danach wird auch noch der Hof funktional und grün gestaltet.

Standard der 50er-Jahre

Ganz klar, dass die Mieter bei derart umfassenden Arbeiten vorübergehend ausziehen mussten. Sie kamen bei ihren Familien unter oder in einer Ausweichwohnung der Gemeinde. Problem war das für das Gros der Bewohner aber keines; zu groß war die Vorfreude auf eine generalsanierte Wohnung.

Bis auf einen Fenstertausch war am Lindenhof seit seiner Erbauung 1952 nämlich nichts mehr gemacht worden. Zum Teil befanden sich auch die Sanitäranlagen noch auf den Gebäudegängen. „Wir nehmen rund 8,4 Millionen Euro für die Sanierung in die Hand. Mit den Förderungen des Landes ist das aber machbar“, sagt Dummer. Wobei der Lindenhof erst der Anfang ist: Die Stadt unterhält insgesamt 15 Gemeindewohnbauten, bis auf den sogenannten Lenauhof sind bei allen Renovierungsarbeiten – zum Teil mit Berücksichtigung von Denkmalschutzauflagen – nötig. Eine Mammutaufgabe, die sich für den Stadtrat aber nicht mehr aufschieben lässt. „Eine Gemeinde kann alle 20 Jahre um Unterstützung bei der Sanierung von Gemeindewohnungen ansuchen. Die SPÖ hätte diese Förderungen in Anspruch nehmen können, hat aber nie darauf zurückgegriffen“, kritisiert Dummer. Seit 2019 sitzt nun die ÖVP am politischen Ruder, zuvor war Stockerau als einstige Arbeiterstadt stets von der SPÖ regiert worden.

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Was auch erklärt, weshalb sich in der Stadt großvolumige Gemeindewohnbauten finden, wie man sie aus Wien kennt. Dort erlebte der soziale Wohnbau in der Ersten Republik seine Blüte; die damalige Weltstadt platzte schon um die Jahrhundertwende aus allen Nähten, zu viele Menschen aus den Kronländern suchten im Herzen des Kaiserreiches ihr Glück.

Erste Stadt nach Wien

Die Konsequenz: Vor allem in der Arbeiterschicht herrschten damals unmenschliche Wohnbedingungen. Dennoch sollte es bis 1925 dauern, bis der erste Gemeindebau der Stadt, der Metzleinstalerhof, bezugsfertig war. In diesem Jahr entstand auch in Stockerau mit dem bereits erwähnten Lenauhof das erste kommunale Wohngebäude. Zudem war Stockerau die erste Stadt außerhalb Wiens, die über eine Wohnbausteuer verfügte. Die „Luxusabgabe“ der Reichen machte die Verwirklichung der Wohnbaupläne erst möglich.

100 Jahre später ist der Gemeindewohnbau noch längst nicht Geschichte – im Gegenteil. Die Nachfrage ist hoch, in Stockerau überlegt man sogar, neue Gemeindewohngebäude zu errichten. „Die Wohnungen sind für alle da, die wenig verdienen. Das sind Familien in Not, junge Paare oder auch Lehrlinge“, nennt Dummer Beispiele. Voraussetzung ist – neben dem Einkommensnachweis – dass der Mieter in Stockerau wohnt oder arbeitet. Pro Jahr gibt es in Stockerau rund 40 Neuanmeldungen für Gemeindewohnungen. „Es gibt viele Menschen in Österreich, die mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen müssen. Gäbe es keinen sozialen Wohnbau, hätten diese kein Dach über dem Kopf“, so Dummer.

29 neue Wohnmöglichkeiten werden jedenfalls durch die Sanierung des Lindenhofs geschaffen. Und noch etwas bleibt dem historischen Wohngebäude trotz Sanierung erhalten: Das Fassadenfresko, das an das „rote Stockerau“ erinnert.