Gewalt in der Privatsphäre: Polizei muss immer öfter eingreifen
„Die größte Gefahr“, sagt Alexander Grohs, Leiter des Vereins Neustart, „lauert nicht auf der Straße, sondern in den eigenen vier Wänden.“ Tatsächlich finden in Österreich mehr als 60 Prozent der Morde im familiären Bereich statt, 44 Prozent der Frauen lebten mit dem späteren Täter zusammen.
Für Landespolizeichef Franz Popp ist die Gewalt in der Privatsphäre deshalb auch ein „zentrales Thema“ in der Arbeit der Exekutive. Zu tun gibt es für die Beamten leider immer mehr, wie ein Blick auf die Statistik zeigt. Im Vorjahr wurden in Niederösterreich insgesamt 2.785 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Das ist eine Steigerung zum Jahr 2022 um etwa acht Prozent. Insgesamt würden die Zahlen ein deutliches Bild ergeben, so Popp. „Es gibt eine kontinuierliche Entwicklung nach oben.“
Wie intensiv das Thema die Polizeibeamten im größten Bundesland beschäftigt, zeigt auch der Arbeitsaufwand, der sie in diesem Bereich in Anspruch nimmt. Mehr als 18.300 Stunden waren es, die die Interventionen zum Schutz vor Gewalt ausmachten.
Gewaltspirale
Das Gewaltschutzzentrum Niederösterreich betreute 2023 exakt 4.056 Personen (2022: 3.780), etwa drei Viertel davon waren weiblich. Geschäftsführerin Michaela Egger skizzierte häusliche Gewalt als „gesamtgesellschaftliches Phänomen“, es gehe um „die Unterbrechung der Gewaltspirale“ zwischen den Akteuren. Weltweite Unsicherheiten tragen Egger zufolge dazu bei, dass es auch „in der kleinen Einheit Familie“ zu Stress komme. Die Vorfälle in Beziehungsverhältnissen würden dabei oftmals an Häufigkeit und Schwere zunehmen: „Und wir wissen auch, häusliche Gewalt kann tödlich enden.“
Als „große Herausforderung“ sieht Egger das Stalking im Online-Bereich. Hier gebe es „ordentlichen Schulungsbedarf“, weil „diese Gewaltform neu ist“ und „die Gefährder uns meistens einen halben Schritt voraus sind“.
Zahlen legte auch der Verein Neustart vor. Von den 2.543 im Vorjahr zugewiesenen Personen waren 90 Prozent männlich. Positiv zu vermerken sei, dass sich 71 Prozent der Gefährder binnen fünf Tagen nach Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots melden und einen Ersttermin vereinbaren. Mit Nachmeldungen steige dieser Wert auf 85 Prozent.
„Die wenigsten Gewalttäter wollen Gewalttäter sein“, machte Grohs bewusst. Ein Hemmschuh seien allerdings noch immer vorkommende patriarchale Strukturen und Haltungen.