Chronik/Niederösterreich

Fünf Jahre Prozess um gebrochenen Daumen

880 Euro für einen gebrochenen Daumen, nach fünf Jahren Prozess, zahlt sich das aus? „Für einen rational denkenden Menschen ist es den Aufwand nicht wert“, sagt der Krankenpfleger Gilbert Frieslinger aus Klosterneuburg. „Aber ich hab’ damals eine Riesenwut gehabt.“ Am 6. Dezember 2007 stand Frieslingers 12-jährige Tochter Julia (Name geändert) mit einer Freundin auf dem Gang ihres Gymnasiums in Wien und unterhielt sich mit ihr. Klassenkollege Alfred (Name geändert) gesellte sich dazu, aber Julia wollte ihn nicht dabeihaben. Daraufhin verabreichte ihr Alfred einen Fußtritt, traf dabei unglücklich Julias rechte Hand und brach ihr den Daumen. Sie konnte vier Wochen lang nicht schreiben und nur eingeschränkt am Skikurs teilnehmen, „obwohl sie sonst wie eine Wildsau runterfährt“ (der Vater). Als von Alfreds Seite „keine spontane Entschuldigung“ kam und dessen Eltern das Ganze als „Kinderblödheit“ abtaten, schaltete Gilbert Frieslinger seinen Wiener Rechtsanwalt Thomas Mayer ein.

„In der Klasse gab es ein hohes Aggressionspotenzial. Ich wollte, dass der Bub aus juristischer Sicht eine Tachtel bekommt“, sagt Julias Vater: „Ein 12-Jähriger, der fast einen Kopf größer als meine Tochter war, darf doch nicht so hintreten, dass ein Knochen bricht.“

Schulwechsel

Folgenlos blieb der Fußtritt für Alfred ohnehin nicht. Man legte ihm nahe, die Schule zu wechseln, was zu Semesterende auch geschah. Später gab es zwischen Julia und Alfred nur noch ein Wiedersehen, vor Gericht, doch blieb es dort bei einem gemurmelten „Servus“.
Anwalt Mayer reichte in Julias Namen gegen Alfred Schmerzengeld- und Schadenersatzklage ein, auch Spätfolgen des Daumenbruches waren nicht gänzlich auszuschließen. Das Verfahren ging durch mehrere Instanzen, fünf Mitschüler mussten in den Zeugenstand, daheim debattierten die Frieslingers schon über Sinn oder Unsinn des Prozesses. Julias Mutter war von Anfang an dagegen, Julia dauerte es auch schon zu lang, der Vater meint: „Man darf sich nichts gefallen lassen.“

Das Bezirksgericht entschied, dass Julia insgesamt 1760 Euro zustehen. Weil sie aber ein Sparbuch besaß, auf das die Oma bisher rund 1500 Euro eingezahlt hatte, während Alfred über keine solchen Ersparnisse verfügt, wurde der Schadenersatz aus Billigkeitsgründen auf die Hälfte herabgesetzt. Für Frieslinger wäre der Fall damit erledigt gewesen: „Ich hatte ja nicht die Intention, den Buben nachhaltig zu schädigen. Ich wollte nur, dass es ihm zu denken gibt.“ Die Kinder- und Jugendanwaltschaft aber habe dazu gedrängt, in Berufung zu gehen.

Bestrafung

Fünf Jahre nach dem Vorfall ist nun das endgültige Urteil ergangen. Nach Ansicht des Landesgerichts für Zivilrechtssachen erscheint es „nicht billig, die Klägerin dafür zu bestrafen, dass sie eine gute Schülerin ist und von ihren Großeltern mit Geldzuwendungen belohnt wird.“ Eigentlich stehen ihr also die gesamten 1760 Euro zu. Weil Alfred oder seine Eltern aber bei einer solchen Summe zusätzlich noch höhere Verfahrenskosten zahlen müssten, bleibt es doch bei 880 Euro plus 3000 Euro Kostenersatz für die in¬zwischen 17-jährige Julia.