Chronik/Niederösterreich

„Bürgerwehren“ fahren Streife

Als es den ersten Einbruch bei uns gegeben hat, hab ich gesagt: ab heute Nacht wird gefahren.“ Damals stiegen Einbrecher in ein Haus ein, in dem ein Pärchen seelenruhig schlief. Ein Weckruf. Der ist nun sechs Jahre her. Seit damals sind der Bürgermeister von Reisenberg im Bezirk Baden, Josef Sam, sein Vize Robert Beierl, Gemeinderäte und Pensionisten Nacht für Nacht auf Streife, um verdächtige Fahrzeuge oder Personen zu melden. Mit Bus und starker Taschenlampe klappern sie Siedlungsgebiete und Firmenareale ab. Mit Erfolg. Ihre Präsenz schrecke die Täter ab – sagt zumindest der Ortschef. Aber was sagt die Statistik?

Während die Einbruchszahlen bundesweit rückläufig sind, ist in NÖ besonders die Zahl der Coups in Einfamilienhäuser gestiegen – von 2011 auf 2012 um 18 Prozent. Die Bürger sind verunsichert: „Viele Menschen fühlen sich als potenziell Betroffene, weil sie jemanden kennen, der Opfer eines Einbruchs wurde“, erklärt Kriminologe Christian Grafl vom Institut für Strafrecht und Kriminologie am Wiener Juridicum. Er nimmt auch die Medien in die Pflicht. „Solange die Medien so häufig über Kriminalität berichten, werden auch viele Menschen glauben, dass die Kriminalität zugenommen hat“, sagt Grafl.

Viele Menschen fürchten Einbrecher und Diebe. Rudolf Plessl, Polizist und Bürgermeister von Untersiebenbrunn im Bezirk Gänserndorf, versucht eine Erklärung: „Bei uns sind von 150 Grenzpolizisten nur 55 übrig geblieben. Und sogar von denen versehen nur rund 25 tatsächlich bei uns ihren Dienst. Die Bevölkerung ist beunruhigt“, sagt Plessl. Eine Bürgerwehr gibt es in Untersiebenbrunn nicht. Plessl würde das auch nicht gutheißen: „Die Bürger sollen im Sinne der Nachbarschaftlichkeit beobachten. Aber ich möchte nicht beim Spaziergehen am Abend aufgehalten werden.“

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In Bad Deutsch-Altenburg (Bezirk Bruck/Leitha) fordern die Menschen von Politik und Behörden Strategien im Kampf gegen die Kriminalität. Nachdem laufend Gräber von Kupferdieben geplündert wurden – sie nahmen Kreuze mit – , organisierte Sabine Umscheider mit dem Hainburger Gemeinderat Paul Pagacs die Bürgerinitiative „Sichere Ostregion“ (siehe Sendungshinweis unten). Ihre Anliegen: mehr Polizei, Unterstützung durch das Bundesheer bei Streifen an der Grenze und ein Sicherheitsbeauftragter für jede Gemeinde. Über 1500 Unterschriften haben sie gesammelt. Diese wollen sie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner übergeben. Termine beim Land NÖ sollen folgen.

Weniger Einbrüche

Auch in Reintal im Weinviertel geht Ortsvorsteher Edmund Ertl mit 70 Mitstreitern seit Herbst 2012 patrouillieren. Seit damals seien die Einbrüche um 80 Prozent zurückgegangen, sagt er.

Auch Josef Sam aus Reisenberg vermeldet Erfolge: „Wir haben schon einige Einbrecher gestellt.“ Ihr Einsatz sei aber keine Kritik an der Polizei: „Mehr als Streife fahren können die auch nicht“, sagt Sam. Darum würde er mit seiner Truppe einspringen – ohne Waffen, nicht einmal Pfefferspray werde verwendet. Angst? „Ein richtiger Mann kennt keine Angst“, sagt Sam und gibt dann zu: „Im Nachhinein fragt man sich aber schon: Ist das nicht doch leichtsinnig?“

TV-Tipp: „Albtraum Einbruch“

Am Schauplatz. ORF-Reportage über Bürgerwehren, die Streife fahren
Banküberfälle, Einbrüche, gestohlene Autos, geplünderte Gräber. In Österreich wächst die Angst vor der Kriminalität. Viele Menschen vermuten, dass „Ostbanden“ hinter den Einbrüchen stecken. Die Redakteurinnen Kim Kadlec und Heidi Lackner der ORF-Sendung Am Schauplatz gestalteten dazu eine Reportage. Sie befragten Bürgermeister, Experten und Bürger, die sich jetzt selbst aktiv werden und in ihren Heimatorten bis in die Nacht Streife fahren. Aber gibt es tatsächlich mehr Einbrüche als vor ein paar Jahren? Die Bürger sagen ja, die Polizei nein.
Sendungshinweis: Am Schauplatz „Albtraum Einbruch“, 21.05 Uhr, ORF 2