Chronik/Burgenland

„Wir wissen nicht, wie viele behinderte Menschen es gibt“

Dass ein Landesgesetz gleichsam auf wissenschaftlicher Grundlage entsteht, geschieht nicht alle Tage. Beim Behindertengesetz leistet sich das Land diesen „Luxus“ aus purer Notwendigkeit. Warum? Weil die grundlegenden Daten fehlen. „Wir wissen nicht, wie viele Menschen mit Behinderung es derzeit gibt“, sagte Christian Schober von der Wirtschaftsuniversität Wien am Donnerstag in Eisenstadt. Diese Unkenntnis treffe aber auf alle Bundesländer zu und sei zum Teil als Reflex auf die Euthanasie-Politik der Nationalsozialisten zu verstehen. Weil Behinderte in der NS-Zeit als „lebensunwert“ galten und systematisch ermordet wurden, war die „Erfassung“ Behinderter auch nach 1945 lange tabu.

Zahlen, Daten, Fakten

Schober, wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship an der WU, soll im Auftrag von Soziallandesrat Christian Illedits (SPÖ) aber nicht nur die Basisdaten erheben und Kostenschätzungen für die kommenden Jahre anstellen (derzeit gibt das Land jährlich rund 50 Millionen Euro für Behindertenhilfe aus), sondern auch die Wünsche und Bedürfnisse von Betroffenen einholen und Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten.

Dass es heute noch Widerstände von Behinderten-Organisationen geben könnte, glaubt Schober nicht. Der „Leidensdruck“ der fehlenden Datenbasis sei mittlerweile bei allen Beteiligten – Behindertenverbänden wie Politik – zu stark. In einem ersten Schritt wird möglichst lückenlos erhoben, wie viele körperlich, psychisch und geistig beeinträchtigte Menschen es gibt. Schober und ein kleines Team von drei oder vier WU-Forschern sind dabei auch auf die Mitarbeit der Sozialabteilung des Landes, der Bezirkshauptmannschaften, der Bildungsdirektion und der Behinderten-Verbände angewiesen.

Zum Kennenlernen traf man sich deshalb am Donnerstag in großer Runde im Landtagssitzungssaal. Dort, wo dereinst auch das Behindertengesetz beschlossen werden soll. Wann das ist, weiß derzeit noch keiner. Bis Mitte kommenden Jahres soll jedenfalls die WU-Studie fertig sein, 180.000 Euro wird sie das Land kosten.

Passend zur schwierigen Aufgabe eröffnete eine Kreativgruppe von „Rettet das Kind“ die gestrige Veranstaltung mit einem Hit von Seiler & Speer, in dem eine „schware Partie“ besungen wird.