Chronik

„Beziehungen auf Zeit ersetzen die Familien“

Soziologe Otmar Weiß unterrichtet an der Universität Wien und interpretiert für den KURIER – anhand der aktuellen Registererhebung – den sozialen Wandel in Österreich.

KURIER: Kinder bleiben wesentlich länger im Elternhaus. Warum ist das „Hotel Mama“ so beliebt?

Die Ausbildungszeiten werden länger und teurer. Hinzu kommt das teure Leben. Junge und Jüngere können sich das nicht mehr leisten. Das „Hotel Mama“ ist quasi die einzige Chance.

Der Zeitpunkt der Familiengründungen verschiebt sich nach hinten. Frauen werden im Schnitt mit 30 Jahren Mütter. Um drei Jahre später als vor 40 Jahren. Warum?

Diese Entwicklung hängt eng mit der Emanzipation der Frauen zusammen. Wir haben erstmals mehr weibliche als männliche Studenten. Frauen sind mündiger und selbstständiger geworden. Vorerst steht die Karriere im Fokus.

Die Statistik spricht vom Trend zur Kleinfamilie. Wird diese Entwicklung anhalten? Und wenn ja, wie ist dieser Wandel aufzuhalten?

Dieser Trend muss nicht anhalten, und ist auch abzufedern. In Frankreich und in Schweden etwa zeigt die Entwicklung wieder in Richtung Mehrkinderfamilien. Dort aber hat die Politik regulierend eingegriffen.

Mit welchen Maßnahmen?

In Österreich ist das Problem der Kinderbetreuung nicht gelöst. Auch Versäumnisse betreffend Ganztags-Schule fallen uns jetzt auf den Kopf. Bei den angesprochenen Nationen gibt es hier gut funktionierende Angebote. In Österreich funktioniert die Kinderversorgung großteils über die Großeltern. Sie sind die Kinderbetreuung.

Mehr als jeder Dritte lebt bereits alleine. Droht eine Vereinsamung der Gesellschaft?

Die Familie als Institution geht verloren und wird durch Partnerschaften auf Zeit ersetzt. Die Auflösung traditioneller Familienstrukturen, wo mehrere Generationen in engem Kontakt stehen, beschert uns mehr Singlehaushalte. Ein Ergebnis davon ist, dass immer häufiger Menschen alleine sterben.

Singlehaushalte, weniger Kinder, längere Ausbildung: Wird der Generationenvertrag kollabieren?

Es muss in Bildung, Integration und Kinderbetreuung investiert werden. Jeder in unsere Jugend investierte Euro kommt fünffach zurück.

Mehr zur aktuellen Registerzählung lesen Sie unter Jeder Dritte wohnt bereits allein