Chronik

Afghanen: „Sie sind gefährdet, Konflikte gewaltsam auszutragen“

Der schwer verletzte 67-jährige Zahnarzt, der nach der Messer-Attacke eines 23-jährigen Afghanen in der Wiener Praterstraße ums Überleben kämpfte, befindet sich auf dem Weg der Besserung. Auch seine Frau und Tochter sind noch in Behandlung. Das verlautbarte die Familie über ihre Anwältin Maria Windhager am Mittwoch.

Der Angriff des verdächtigen 23-jährigen Jafar S. auf die Familie und wenig später auf einen Landsmann am Praterstern (ihn machte S. für seine Drogensucht verantwortlich, Anm.) war beispiellos – reiht sich aber ein in eine Serie an Gewalttaten, die von Afghanen verübt worden sind: Im April 2016 vergewaltigten vier afghanische Burschen im Alter von 16 und 17 Jahren eine Studentin auf einer Toilette am Wiener Praterstern. Anfang des Vorjahres wurden sie zu zwei Mal sechs und ein Mal fünf Jahren Haft verurteilt.

Schlägereien

Im März 2016 lieferten sich Afghanen und Tschetschenen vor einem Jugendzentrum in Wien-Brigittenau eine Massenschlägerei. Acht der insgesamt elf angeklagten Afghanen im Alter zwischen 16 und 22 Jahren wurden wegen schwerer gemeinschaftlicher Gewalt schuldig gesprochen.

Ist die Gruppe der Afghanen also ein Problem für die Gesellschaft? Für die öffentliche Sicherheit? Anny Knapp, Geschäftsführerin der Asylkoordination, drückt es so aus: „Die junge Altersgruppe der Afghanen ist eine, die gefährdet ist, Konflikte gewaltsam auszutragen.“ Wer Gewalt erlebt hat, gibt eher Gewalt weiter. Ein Phänomen, das freilich nicht nur unter Afghanen zu Tage tritt.

Dass junge Afghanen eher bereit sind, Konflikte gewaltsam auszutragen, habe laut Knapp nicht nur damit zu tun, dass junge Männer – egal woher sie kommen – gewaltbereiter sind, als andere Bevölkerungsgruppen. Sondern auch damit, wie die Afghanen geflüchtet sind und welche Geschichte hinter ihrer Flucht steckt.

Jene jungen Afghanen, die ihre Flucht nach Österreich angetreten haben, sind im Krieg aufgewachsen (siehe Bericht rechts unten) . Sie kennen oft nichts anderes als Gewalt und Tod. Oft sind sie deshalb viele Jahre vor der Flucht nach Europa bereits in den Iran geflohen. Dort gelten Afghanen als „Menschen zweiter Klasse“ – Kinder dürfen nicht zur Schule gehen, arbeiten dürfen Afghanen meist nur auf dem Bau und das schwarz. „Diese längere Exilerfahrung bedeutet eine lange Phase der Unsicherheit“, sagt Knapp.

Auf dem Fluchtweg seien die vor allem jungen, männliche Afghanen auf sich alleine gestellt – im Gegensatz etwa zu Syrern, die eher im Familienverband geflüchtet seien. „Der Druck in dieser stärker traditionellen Gesellschaft speziell auf die jungen, männlichen Familienmitglieder ist groß“, sagt Anny Knapp.

Größte Klientengruppe

Beim Hemayat, dem Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien, machen Afghanen die größte Gruppe an Klienten aus: 1309 Patienten wurden 2017 behandelt, 380 von ihnen kamen aus Afghanistan.

Dahinter in absteigender Reihenfolge Menschen aus Tschetschenien (270), Syrien (171) und dem Irak (119). Hemayat bietet Folter- und Kriegsopfern psychologische, psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe. Der Andrang ist enorm. Aktuell stehen 400 Personen auf der Warteliste, auch von ihnen kommen die meisten aus Afghanistan. Konkret 156 Personen, darunter 29 Minderjährige.

„Opfer von Gewalt zu sein, erzeugt ein Gefühl von Ungerechtigkeit und Wut“, sagt Cecilia Heiss, klinische Psychologin und Geschäftsführerin von Hemayat. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Traumafolgeerkrankung zu erkranken, steige mit der Zahl der traumatischen Ereignisse. Und Afghanen würden „unglaublich viele“ Traumata erleben. Nach Krieg, Vertreibung und Flucht kämen in Österreich Perspektivenlosigkeit und die lange Unsicherheit in puncto Aufenthalt dazu. Nicht nur wegen der Asylverfahren, die bis zu drei Jahre dauern, sondern auch aufgrund geplanter Rückführungen in die Heimat.

Mehr Therapieplätze

„Viele unserer Klienten sagen: Folter ist schlimm, aber dieses Dazwischensitzen und Warten erleben sie als fast genauso schlimm“, sagt Cecilia Heiss. Aber gerade der Umgang mit Traumata und deren Anerkennung sei entscheidend.

Ihre zentrale Forderung: Kürzere, aber qualitätsvolle Asylverfahren, sowie „viel mehr Therapieplätze.“ Denn die psychische Gesundheit sei Voraussetzung für eine gelingende Integration.