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Jürgen Teipel: "Raver hatten mehr Spaß als Punks"

Vorurteile gegenüber DJs gibt es genug: Sie nehmen Drogen, feiern sich durchs Leben, haben Spaß, Geld und Frauen. Dass die Realität meistens anders aussieht, kann man im neuen Buch von Jürgen Teipel nachlesen. In "Mehr als laut" geht es nicht nur um den scheinbar schwerelosen Zustand (Drogen!) auf der Tanzfläche - fernab vom Brotjob, Alltag und der Realität: "Who cares about fucking tomorrow?!". Es geht auch um Einsamkeit, Psychosen, Nervenzusammenbruch, Tod und der Unmöglichkeit, eine Beziehungen aufrecht zu halten.

Ganz nebenbei berichten Teipels Interviewpartner von der Schönheit des Scheiterns: "Lieber versagen, als bei allem auf Nummer sicher gehen", erklärt der Berliner DJ Andi Teichmann. Er spricht dabei vom Mischen zweier Platten. Fehler seien Ausdruck der "ultimativen Schönheit" des Plattenauflegens, sagt dazu der Chemnitzer DJ Stella Stellaire.

Frauen im Plattenladen

Auch das Frauenbild wird in den 235 Seiten angeschnitten. Denn für das weibliche Geschlecht war es damals ungewöhnlich, in ein Plattengeschäft zu gehen. "In einem Laden wie dem Hardwax in Berlin warst du in den Neunzigern als Frau die Sensation", berichtet Inga Humpe (2raumwohnung). "Wenn da eine Frau war, dann war das die Freundin vom DJ. Die stand dann halt blöd rum. Zwei Stunden lang", fügt Acid Maria hinzu.

Durch die Nacht

20 Schwergewichte der Techno-Szene bringt der Autor zum Sprechen. Darunter: Acid Maria, DJ Hell, DJ Koze, Miss Kittin, Richie Hawtin, Michael Mayer oder Dirk Mantei. Sie erzählen in "Mehr als laut" ihre persönliche Geschichte, berichten von illegalen Raves in irgendwelchen Industrieruinen. Das ist spannend und interessant zugleich. Man wird in den Club mitgenommen, geht mit den DJs beim Türsteher vorbei und verschwindet in der Partynacht - mit all der Euphorie, den Exzessen und Grenzüberschreitungen.

Jürgen Teipel, Autor von "Mehr als laut", im KURIER-Interview.

KURIER: 2001 haben Sie den Punk-Doku-Roman "Verschwende deine Jugend" veröffentlicht. Jetzt beschäftigen Sie sich mit der Techno-Szene. Was hat Sie zu diesem Thema geführt?

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Jürgen Teipel:Ich hatte Techno während der Recherchen zu "Verschwende Deine Jugend" für mich entdeckt. Vor allem House. Und hatte dann schon die alten Punks mit meinen House-Kassetten "genervt". Dann gab es mal eine Lesung von mir in Karlsruhe, auf der eine ziemlich bekannte DJ-Frau hinterher aufgelegt hat: Acid Maria. Wir verstanden uns sehr gut und so kam eins zum anderen. Ich war fasziniert von dem was sie erzählte, über ihren Alltag, der sehr geprägt war vom ständigen Unterwegssein - rund um die Welt. Hauptsächlich durch sie kam ich dann auch mit anderen DJs in Kontakt. Ich wurde immer tiefer in das Thema "eingesogen". Dann entwickelte es sich aber von selbst in eine ganz bestimmte Richtung. Ich wusste inzwischen, dass ich einen Roman über einen sehr jungen DJ schreiben wollte, eine Art "Fänger im Roggen" im DJ-Bereich. Und es ergab sich, dass dieser Roman in Mexiko spielen würde. Einige DJs hatten mir immer wieder von ihren Abenteuern dort erzählt. Was für mich erstmal bedeutete, dass ich selber nach Mexiko ging, und das Romanprojekt, wie gesagt, seine ganz eigene Dynamik entwickelte und schließlich 2010 unter dem Titel "Ich weiß nicht" beiDuMontveröffentlicht wurde. Nun hatte ich aber noch die ganzen Gesprächsaufnahmen mit den DJs, die im Roman - wenn überhaupt - nur indirekt Verwendung fanden. Und deswegen die Idee zu einem zweiten Buch: einer Art Dokumentation.

Was verbinden Sie persönlich mit der Techno Szene?
Drogen und Spaß (lacht). Mir war schon früh aufgefallen, dass die Raver viel mehr Spaß hatten als die Punks, aus deren Szene ich selbst kam. Anfangs war mir das ein bisschen suspekt. Punk war ja so ernst. Aber nach und nach hat sich mir die Freude, auch die Freude am Tanzen, immer mehr erschlossen. Natürlich war das teilweise ein bisschen drogengeschwängert. Es hat mich hin und wieder genervt, erstmal ein paar Leute wegschieben oder um sie herum tanzen zu müssen, weil sie selber gar nichts mehr mitbekamen. Aber grundsätzlich fand ich's erfreulich, dass die Stimmung vergleichsweise so freundlich war, so offen. Dass man Komplimente bekam und verteilte.

Wie schwer war es, den DJs persönliche Erfahrungen abzulocken?
Es ging nicht um's Entlocken. Überhaupt nicht. Es waren sehr persönliche, lange, vertrauensvolle Gespräche - die ursprünglich nur dem Roman dienen sollten. Die Leute haben sich mir teilweise geöffnet. Vor allem einige der weiblichen DJs. Deshalb war es dann schwer, die Leute davon zu überzeugen, diese Gespräche für die Dokumentation freizugeben.

Wie viele Gesprächsminuten haben sie über die Jahre gesammelt?
Ich weiß es nicht. Ich habe eher die Seiten gezählt, die ich davon abgetippt habe. Das waren 700.

Diverse Aussagen durften Sie nicht drucken, aus „rechtrelevanten Gründen“, wie Sie im Buch schreiben.
Wie schwer war es, das Projekt zu Ende zu führen?

Es ging nicht um's Dürfen, sondern um's Wollen. Ich wollte meine Gesprächspartner natürlich schützen und deshalb nichts verwenden, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Polizei interessant gefunden hätte. Viele der Veranstaltungen, gerade zu Anfang von Techno, waren ja illegal. Es wurden viele Drogen konsumiert und gehandelt.

Was haben Sie persönlich aus den Gesprächen gelernt bzw. Neues erfahren?
Wie gesagt, vor allem die Freude der ganzen Angelegenheit. Ich hatte Techno ursprünglich nicht so mitgekriegt und musste mich nun erstmal mit diesem Aspekt davon anfreunden. So ungefähr: "Ist das nicht banal? Ist das nicht eine zu positivistische Sicht auf die Welt?" War's natürlich überhaupt nicht. Gelernt habe ich, dass ich mich selbst viel zu sehr im Kopf befand. Dass ich selbst viel zu viele Konzepte hatte, was man denn nun machen dürfe und was nicht. Wie man sich zu verhalten hätte. Vor allem am Schluss war Punk sehr eng, von den Möglichkeiten her sich zu verhalten. Und Techno und House waren ein weites, offenes Feld mit grundsätzlich offenen Leuten. Das fand ich sehr, sehr angenehm. Die Gespräche und auch das Sein-im-Club, das war für mich überwiegend sehr erfreulich.

Welches Bild haben Sie nach den zahlreichen Gesprächen von der Techno Szene?
Wie gesagt: Da hat sich sehr viel gewandelt. Es sind nun weniger vorgefasste Ideen, die sich im Kopf abspielen, sondern zum Teil eigene Erfahrungen, aber vor allem sehr detaillierte Einblicke, die mir die DJs ermöglicht haben. Ich bin durch die Recherchen nicht Teil der Szene geworden, aber ich konnte mir ein Bild machen. Und dieses Bild ist tendenziell bunt, freundlich, auch sehr kreativ, aber es schließt natürlich nicht aus, dass es viele problematische Entwicklungen in dem Ganzen gab. Vor allem die Drogen. Auch die verschiedenen Welten, die manchmal nicht in Einklang gebracht werden konnten. Aus der Freundlichkeit die am Wochenende im Club herrschte, wurde unter der Woche nicht unbedingt etwas Verbindliches, was einen tragen konnte.

Steht hinter dem Buch eine Hauptaussage a la "Hände weg von den Drogen"?
Wenn es eine Hauptaussage gibt, dann vielleicht jene, dass es keinen Sinn macht, sich als verbindungsloses Einzelwesen zu verstehen, sondern dass uns Menschen vor allem das Verbundensein ausmacht.

Haben Sie ein neues Projekt geplant?
Ja, ich habe ein neues Projekt geplant. Bin gerade am Schreiben. Diesmal wird es weder ein Roman noch eine Dokumentation, sondern eine Art Selbsterfahrungsbericht. Eine sehr persönliche Sache.

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Infos: Jürgen Teipel - "Mehr als laut" (Suhrkamp), 235 Seiten, EUR 15,50.