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Vier Flügel auf dem Hügel

Eigentlich sollte es ein Würfel werden. „Das ist das, was in vielen Köpfen als modern abgespeichert ist. Alternativen findet man nur selten“, sagt Marion Wicher. Dass es auch anders geht, beweist die Architektin in der Obersteiermark. Auf einem Hügel, 900 Meter über dem Meer, realisierte sie einen Neubau, der vor allem wegen seiner Gestalt aus dem Rahmen fällt. „Der Offenheit der Bauherren sei Dank“, sagt Wicher. „Das Ehepaar war sehr aufgeschlossen.“
Bei dem Entwurf ließ sich die Planerin von einem erprobten Rezept leiten. Denn vor einigen Jahren schon hat sie ein Haus nach einem ähnlichen Schema realisiert, das 2015 mit dem Preis „Das Beste Haus“ ausgezeichnet wurde. Für ihre Auftraggeber hat sie das Konzept – ein Grundriss in Form eines dreiarmigen Sterns – nun weiterentwickelt. „Weil das Haus zugleich Arbeitsstelle des Bauherrn ist, haben wir den Grundriss um einen vierten Arm für das Arbeiten ergänzt.“

Wohnhäuser haben unterschiedliche Zonen von Privatheit. Analog dazu verlieh Wicher jedem Flügel eine andere Funktion: Im nördlichen Gebäudeteil sind die Garage und ein Gästeraum untergebracht. Im Osten befinden sich die Ankleide, das Bade- und Schlafzimmer mit vorgelagerter Terrasse. Kochen, Essen und Wohnen finden im westlichen Flügel in einem offenen Raum statt, der in eine Terrasse mit Pool übergeht. Der vierte Trakt ist für das Arbeiten reserviert. Damit dieser klar von den privaten Wohnbereichen abgetrennt ist, kragt er über der Terrasse vor dem Schlafzimmer aus und bildet zugleich deren Verschattung. Für den Bauherren ergibt sich so eine gelungene Arbeitsplatzsituation, denn vom Schreibtisch aus eröffnet sich ihm ein spektakulärer Blick weit ins Tal hinab.

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Der Eingang – ein großzügiges Foyer – befindet sich im Schnittpunkt der vier Arme. Das bringt viele Vorteile, erklärt Wicher: „Die Nutzungsbereiche sind klar getrennt und es gibt keine Überschneidungen. Der Arbeitsbereich ist ebenso ungestört wie der Schlafbereich. Ebenso klar definiert ist der Ess- und Wohnbereich: Gäste können ihn direkt betreten, ohne in einen andere Zone vorzudringen.“

Auch drinnen setzt die Architektin auf Niveauunterschiede. Etwa im Wohnzimmer, das auf ein Podest gehoben wurde. Nur zwei Stufen trennen Koch- und Wohnbereich – ein kleiner Eingriff mit großer Wirkung: „Große, offene Räume erscheinen dadurch gemütlicher. Man kann sich auf Augenhöhe unterhalten, während die einen stehen und die anderen sitzen“, erklärt Wicher. Wem der Trubel trotzdem zu viel wird, kann Vorhänge vorziehen, sich zurücklehnen und den Ausblick genießen: Vor der Couch erstreckt sich ein breites Fensterband, das den Blick nach draußen auf die weitläufige, grüne und hüglige Landschaft der Steiermark lenkt. Um die Aussicht bestmöglich zu inszenieren, setzte Wicher zusätzlich Bullaugen ein: „Kleine runde Fenster lassen den Ausschnitt größer wirken und fokussieren den Blick.“ Vorwiegend sind sie entlang der Gangflächen angeordnet, um im Vorbeigehen Notiz von der Umgebung nehmen.

Eine Konstruktion mit Beton lag aufgrund der freien Form des Bauwerks und der auskragenden Arme nahe. Die Materialwahl ist aber auch dem Energiekonzept geschuldet: Denn die Gebäudemasse wird zur Temperaturregulierung genutzt. Um den Effekt der Betonkernaktivierung nutzen zu können wurde eine Erdwärmepumpe kombiniert. Geheizt wird über den Fußboden und die Wände, wo Rohre verlegt sind, in denen heißes Wasser zirkuliert. Gekühlt wird das Niedrigenergiehaus über die Decke: Kalte Luft senkt sich ab und reduziert die Raumtemperatur um bis zu sieben Grad. „Das angenehme ist“, sagt Wicher, „dass es keine Zugluft gibt. Und man muss nicht auf dem kalten Boden stehen.“ Für ein perfektes Raumklima liefert eine Fotovoltaik-Anlage am Dach zusätzliche Energie. Und an kalten Tagen sorgt ein moderner Kachelofen im Wohnzimmer für eine Extra-Portion Gemütlichkeit.