Mies van der Rohe Award: Europas Elite
Von Claudia Elmer
Er versteht sich als Gradmesser für zeitgemäße Baukunst und ist einer der begehrtesten Architekturpreise Europas: der Mies van der Rohe Award. Alle zwei Jahre wird er von der Europäischen Kommission und der Mies van der Rohe Fundació in Barcelona vergeben. Bereits zum 13. Mal wurde das Preisgeld von 80.000 Euro heuer ausgelobt – auch diesmal war die Liste der Anwärter lang. 335 Kandidaten aus 37 Staaten – unter ihnen renommierte Büros ebenso wie Studenten – legten dem Komitee ihre Entwürfe vor. Die Vielfalt der Projekte hätte nicht größer sein können: Von der Schule bis zum Seniorenheim, vom Museum bis zur Wohnsiedlung und von der Krankenhausstation über eine Bibliothek bis zum Kino reicht das Repertoire.
Aus den Nominierungen wurden 34 Arbeiten für die Shortlist ausgewählt, aus der wiederum fünf Finalisten und ein Gewinner ermittelt wurden. Der Erste Platz (und das Preisgeld von 60.000 Euro) ging an das 2011 eröffnete Harpa, eine eindrucksvolle Musik- und Konferenzhalle im Hafen von Reykjavik. Die Pläne stammen von Henning Larsen Architects aus Dänemark, die glitzernde Fassade ist ein Werk des weltbekannten Künstlers Olafur Eliasson. Die Harpa (Deutsch: Harfe) besteht aus zwei versetzten, quaderförmigen Komplexen mit schrägen Kanten. Der Bau ist mit prismenförmigen Glasmodulen überzogen, die auf die Wetterverhältnisse reagieren und außen das Licht in unterschiedlichen Farben reflektieren. Innen werfen sie kristalline Schattenmuster und geben einen Blick nach draußen frei. Ausschlaggebend für die Jury war auch die städtebauliche Funktion: Harpa habe geholfen, den Hafen zu revitalisieren und Hafen und Stadt näher zusammenzubringen.
Das neue Wahrzeichen Sevillas, die Überbauung Metropol Parasols auf dem Plaza de la Encarnación, zählt zu den Finalisten. Die pilzförmige Konstruktion von J. Mayer H. ist eine künstlerische wie bautechnische Pionierleistung: Selbsttragende Teile bestehen aus filigranen Furnierschichtholzträgern. Diese sind nicht verschraubt, sondern miteinander verklebt. Forscher haben dafür einen speziellen Klebstoff entwickelt, der der starken Sonneneinstrahlung und den Temperaturen bis zu 60 Grad standhält.
Ein Projekt für Senioren reiht sich ebenfalls unter die Finalisten. Das Wohnheim liegt in Alcacer do Sal südlich von Lissabon und stammt von Aires Mateus Arquitectos. Sie entwickelten ein Band aus übereinandergestapelten Kuben, das mehrfach geknickt ist. Es passt sich an die ansteigende Topografie eines Berghangs an, ist ein-, zwei-, und dreigeschossig und verschwindet nach hinten in den Berg. Die einzelnen Zimmer sind zum Tal hin ausgerichtet und verfügen über einen eigenen Balkon oder eine Loggia. Die Austritte sind zurückversetzt und sorgen für Beschattung.
Zu den besten 30 Arbeiten zählt auch ein Projekt in Österreich: Die Neugestaltung des Joanneumsviertelplatzes in Graz. Das 2011 fertiggestellte Kulturzentrum ist ein gemeinsames Projekt der Architekturbüros Nieto/Sobejano aus Madrid und eep architekten aus Graz. Sie haben einen Ausbau realisiert, der sich unter der Erde erstreckt und das neue Besucherzentrum, die Landesbibliothek und die Multimedialen Sammlungen beherbergt. Um Helligkeit in die unterirdischen Räume zu bringen, haben die Planer Lichttrichter in den Boden eingearbeitet. Betreten wird das Ensemble durch einen großen, zentral im Hof gelegener Kegel mit einem Durchmesser von 13 Metern. Durch ihn gelangt man direkt zum Besucherzentrum.
Vis-a-vis des Amsterdamer Hauptbahnhofs befindet sich das EYE Filminstitut – ein Entwurf, der vom Wiener Architekturbüro Delugan Meissl Associated Architects (DMAA) stammt und direkt am Wasser liegt. Das Filminstitut mit seinen schrägen Gebäudeflächen beherbergt nicht nur ein Museum, sondern ist zugleich auch ein Kino. Neben vier Vorführsälen mit insgesamt 640 Sitzen finden im EYE auch 1200 Quadratmeter Ausstellungsfläche Platz. Die Säle sind nicht dunkel, wie man es in Kinos erwarten würde, sondern hell und offen. So können sie auch für Talkshows und andere Veranstaltungen genutzt werden.
Der Mies van der Rohe Award unterstreicht den Beitrag europäischer Architekten zur Entwicklung neuer Ideen und Technologien in der Stadtentwicklung. Unter den 335 Kandidaten sind auch zwölf Beispiele aus Österreich, die diesen Anspruch teilen. Die Hauptschule in Rattenberg etwa, ein monolithischer Baukörper aus Beton von Daniel Fügenschuh. Oder der von Bernardo Bader realisierte Islamische Friedhof in Vorarlberg.
Auch die Siedlung Generationen Wohnen am Mühlgrund in Wien wurde nominiert. Drei Büros – Hermann Czech, Adolf Krischanitz und Werner Neuwirth – entwickelten dafür drei unterschiedliche Wohnungstypen.
Ein besonderes Beispiel stellt der Palliativpavillon des Wilhelminenspitals in Wien dar. SHARE architects und das Büro Raumwerkstadt konzipierten eine Anlage, die den Bedürfnissen unheilbar kranker Menschen angepasst ist. Schleifenförmig ist das Gebäude in der Parklandschaft eingebettet. Die Patientenzimmer sind der Grünfläche zugewandt und mit einer Schlafmöglichkeit für Besucher ausgestattet. Vorgelagerte Terrassen sind barrierefrei begehbar und raumhohe Verglasungen ermöglichen einen uneingeschränkten Blick ins Freie.