Leben/Wohnen & Design/Wohnen

Die Stadt in der Stadt

KURIER: Frau Spinadel, Sie haben auf rund 100.000 Quadratmeter den Campus der Wirtschaftsuniversität Wien samt Freiräumen und Hörsaalzentrum geplant. Muss man größenwahnsinnig sein, um ein Projekt dieser Dimension zu realisieren?
Laura P. Spinadel: Ich bin eine Träumerin. Und wenn ich eine Vision entwickle, dann denke ich groß – man sollte ja keine halben Sachen träumen, oder? Mit meinem Beitrag für den Campus WU möchte ich die Welt verbessern. Das kann ich auch im Einfamilienhausbau oder im sozialen Wohnbau tun. Mir ist keine Aufgabe zu groß oder zu klein.

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Fünf Jahre lang hat Sie der Campus beschäftigt. Eine Erfolgsstory?
Als wir den Wettbewerb 2008 gewonnen und das Konzept für die Realisierung verfasst haben, hatte ich das Gefühl, mein ganzes Leben lang dafür trainiert zu haben. Ich bin Waldorfschülerin – das heißt, ich muss mich mit dem, was ich tue, identifizieren. Ich fühle eine Verantwortung gegenüber den Räumen, die wir schaffen. Und diese Verantwortung war bis zur Übergabe im Jahr 2013 der Hauptinhalt meines Lebens.

Zu Ihren Aufgaben zählte unter anderem, ein riesiges Team zu koordinieren. Welche Lehren konnten Sie daraus ziehen?
Es mussten erst Dutzende, dann Hunderte und später Tausende Menschen vernetzt werden, damit alle in die gleiche Richtung arbeiten. Aber der Grundgedanke "Mein Ziel und dein Ziel ergeben in der Gemeinschaft ein besseres Ziel" hat viele überfordert. Vor allem Schubladendenker und Erbsenzähler waren weder bereit noch in der Lage, ganzheitlich zu denken. Ich musste mich als Masterplanerin jeden Tag neu erfinden und neu positionieren. Und in einem Punkt habe ich mich geirrt: Eine Vision kann eine Gesellschaft nicht ändern, solange die Vision nicht realisiert ist. Worüber jetzt so viele glücklich sind, war im Entstehungsprozess sehr mühsam, weil kein ausreichendes Verständnis von allen Beteiligten vorhanden war. Aber die kritische Masse der Engagierten reichte aus, um dieses "Wunder" Campus WU zu verwirklichen.
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Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Wir hatten ein Ablaufdatum und das war die Eröffnung am 4. Oktober 2013. Jeder wollte wissen, ob ich über das Ergebnis glücklich bin. Ich habe gesagt, und das glaube ich immer noch, dass ich erst aufatmen kann, wenn dieser Ort der Freiheit – der in einer Stadt erzeugt wurde, wo Kinder nicht auf der Straße spielen dürfen, wo das Fremde eher vermieden wird und sich Gettos unter Gleichgesinnten bilden – sich wieder der Gesellschaft nähert. Überspitzt formuliert: Snobistische Wirtschaftsstudenten, wunderschöne Marketingtussis, die Praterfauna und die Happelstadiontiere müssten auf einem Fleck zusammenkommen. Ich habe dann einen guten Job gemacht, wenn dieser Ort der Freiheit, wo sich diese unterschiedlichen Zielgruppen treffen, bis fünf Jahre nach der Eröffnung ein Ort der Freiheit bleibt – ohne Grenzen, Zäune oder Zutrittskontrollen.
Bisher hat das auch gut funktioniert: Das Areal wurde zum Tourismusziel. Sogar der Diskonter Hofer bietet Architekturreisen zur WU an. Ich glaube, dass der gesamte Campus ein Anziehungspunkt geworden ist. Es gibt plötzlich einen öffentlichen Raum, Gastronomie und den Austausch unter verschiedenen Gesellschaftsschichten und Lebensformen. Wir verzeichnen tagsüber eine Auslastung von 90 Prozent bestehend aus 80 Prozent WU-Bevölkerung und 20 Prozent Nicht-WU-Bevölkerung. Abends dreht sich das um: Mit einer fantastischen Auslastung von 80 Prozent Außenstehenden und 20 Prozent Studenten, die nach ihrem Studium auf dem Campus bleiben. Der Planungsdirektor der Stadt, Thomas Madreiter, meinte, dass ich Wien mit meinen Team ein sehr großes Geschenk gemacht hätte. Dass dieses Projekt den Paradigmenwechsel und die Zukunft dieser Stadt verändern wird. Die WU ist ein Wirtschaftsmotor. Und das freut mich

Darüber hinaus sind aber auch viele andere Aspekte wichtig.
Natürlich. Es soll etwa kein Wasser eindringen, die Temperatur muss geregelt sein und das Licht darf nicht blenden. Man sollte die richtige Aussicht haben und die Neugierde wecken. Womit wir beim Holismus sind: Egal welches Ziel man verfolgt, die unterschiedlichen Interessen – ob wirtschaftliche, technische, soziale oder kulturelle – müssen immer in Balance sein. Denn Wirtschaftlichkeit alleine macht nicht glücklich. Und Schönheit alleine auch nicht.
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Liegt der holistische Ansatz allen Ihren Projekten zugrunde?
Ja, Architektur integriert alle Bereiche des Lebens und des Wissens. Man kann nicht sagen, ob Licht wichtiger ist als Sicherheit. Oder ob Ausblick wichtiger ist als Geborgenheit. Zudem haben wir verlernt, integral zu denken. Jeder spielt für sich – das ist eines der größten Probleme, die ich sehe. Es gibt keinen Teamgeist und keine Partizipation. Holismus heißt integral denken und alle möglichen Akteure und Tools überlappend in eine Vision zu integrieren.

In der Vergangenheit ließ die WU auch mit Negativschlagzeilen aufhorchen: Betonplatten, die sich von der Fassade lösen, Lampenkörper, die von der Hörsaal-Decke stürzen. Inwiefern trifft Sie das?
Ich kann Ihnen zu diesen beiden Punkten keine konkrete Antwort geben, da die Untersuchungen noch laufen. Zudem sind wir als Planer von Hörsaalzentrum, Freiraum und Garage von den sehr unglücklichen Vorfällen nicht direkt betroffen. Ich kann nur sagen, dass wir in einem kranken System gefangen sind. Eigentlich sollte uns alle das Bundesvergabegesetz schützen, da grundsätzlich das Bestbietersystem zu Anwendung kommt. Leider sind wir in der Realität dann aber oft mit den Ergebnissen von annähernd Billigst-Bieterverfahren konfrontiert und die Auftragnehmer können dann unter diesem extremen Kosten- und Zeitdruck die geplante Qualität nicht liefern. Vor allem dann, wenn anspruchsvollere Ausführungen erforderlich sind.
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Wie weitreichend das Projekt WU ist zeigt sich auch darin, dass Sie ein Buch darüber veröffentlicht haben. Wie kam es dazu?
Ich wollte die Geschichte dieses Bildungsprojektes öffentlich machen. Nur der externe Blick beurteilt, ob das Ergebnis gut ist. Ich habe internationale Autoren gebeten, einen Beitrag zu leisten. Und zwar unter einer Bedingung: Sie müssen eine Woche lang nach Wien kommen und die alte WU und die neue anschauen. Anschließend müssen alle gemeinsam das Ergebnis beurteilen. Siehe da: Sie sind alle gekommen. Aus den USA, aus Kanada, Argentinien, Deutschland und Spanien. Es war ein tolles Erlebnis, vor dem ich auch sehr nervös war, da ich es als Prüfung gesehen habe.

Sie haben bereits zahlreiche Awards erhalten, unter anderem den Ernst A. Plischke Preis im Jahr 2014. Welche Bedeutung haben diese Auszeichnungen für Sie?
Einerseits wird man dadurch abserviert, weil man vom produktiven Alltag ausgeschlossen wird. Nach dem Motto: Sie sind jetzt geehrt und jetzt können wir die Tür zu machen, denn Ihr ganzheitlicher Ansatz ist ein bisschen anstrengend. Andererseits erlangt man dadurch eine Öffentlichkeit, die Gleichgesinnte anspricht. In der Architektur läuft vieles in lobbyistischen Kreisen, wo Freidenker wie ich unerwünscht sind. Ein Freigeist gehört zu keiner Mafia, man ist mit niemand verheiratet außer mit der Vision für eine bessere Welt. Meine Hoffnung ist, dass sich durch diese Preise und die Öffentlichkeitsarbeit Gleichgesinnte außerhalb dieser Kreise finden, um eine kritische Masse zu bilden und einen Paradigmenwechsel auszulösen.

Orange verputzte Wohn- und Bürozeilen charakterisieren die 'Compact City' in Wien-Floridsdorf (Fertigstellung 2002): Sie beherbergenWohnungen, Geschäfte, Büros, Ateliers und Werkstätten für Gewerbebetriebe, die zu einer Stadt in der Stadt verdichtet sind
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In Wien werden jährlich 25.000 Zuzügler gezählt – wie kann man der Wohnungsnot entgegenwirken?
Das habe ich bereits in den 1990er-Jahren mit der "Compact City" in Wien-Floridsdorf versucht zu zeigen: Der Versuch war, Klein- und Mittelbetrieben eine Antwort in dieser globalisierten Welt zu geben. Es sind Wohnungen, Geschäfte, Büros, Ateliers und Werkstätten entstanden, die zu einer Stadt in der Stadt verdichtet sind. Wohnungen allein zu bauen ist meiner Meinung nach falsch. Man muss städtische Teilstücke mit Wohnungen bauen. Und hier liegt das Problem: Die Kassen sind leer. Wir können keine neuen Schulen bauen, keine Parkanlagen, keine Infrastruktur. Wenn das fehlt, schafft man Schlafstätten wie damals in den 1970er-Jahren.

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Wie lautet Ihre Vision für die Stadt im Jahr 2030?
Ich hoffe, dass wir die Städte nicht glattbügeln, sondern unterschiedliche Lebensformen zulassen und ihnen Platz geben. Denn auch wenn wir heute über Nachverdichtung reden und Hochhäuser oder Gartensiedlungen plötzlich in Frage stellen: Es dürfen keine Satellitenstädte entstehen, denen jegliche Urbanität fehlt.

Was möchten Sie in der Zukunft noch gerne realisieren?
Sachen, die mich eine Herausforderung kosten. Auf ganz utopischer, visionärer Ebene würde ich gerne ein weit gefächertes Netzwerk an "holistischen Dörfern" bauen, in dem sich Gleichgesinnte finden und den Paradigmenwechsel vollziehen können. Ich möchte einen Ort der Freiheit schaffen, in einer Zeit, wo sich alles nur noch Indoor abspielt und Erlebniswelten wichtiger sind als die Natur. Nur durch konkrete Beispiele wird man die Gesellschaft, die ihre Erfahrungen nur noch am Bildschirm oder am Feierabend macht, wieder in die Wirklichkeit zurückholen. Das kann nur gelingen, wenn man die Stadt erleben kann. Und dafür muss sie gebaut werden. Wir können nur durch das Erleben neuer Realitäten langfristig Veränderungen erreichen. Andernfalls werden wir irgendwann nur noch im Kopfkino leben.
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Laura P. Spinadel, in Südamerika aufgewachsen und Mitbegründerin des argentinisch-österreichischen Büros „BUSarchitektur“, setzte Projekte wie Compact City, ein mit dem Otto Wagner Städtebaupreis prämiertes Wohnprojekt in Wien, das Forum Schönbrunn oder den neuen Campus der Med-Uni Graz um. 2008 gewann sie den Masterplan- und Generalplanerwettbewerb für den Campus der WU Wien und realisierte das Hörsaalzentrum, den Freiraum und die Garage. Auch für die Dokumentation und Kommunikation des Projektes zeichnet sie mit „BOAnet“, einem 2004 gegründeten Büro für offensive Aleatorik, verantwortlich.

www.facebook.com/busarchitektur

ww.facebook.com/offensivealeatorik

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„Campus WU – Eine holistische Geschichte“, erschienen im Verlag BOA büro für offensive Aleatorik.

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