Kühne Komposition
Von Claudia Elmer
Ob ski fahren oder wandern: viele kommen der Berge wegen nach Tirol. Jetzt gibt es einen weiteren Grund, warum sich ein Besuch der Alpenregion lohnt: Das neue Festspielhaus in Erl. Kulturinteressierte dürften sich freuen, dass jetzt auch im Winter Opern und Konzerte auf dem Programm stehen. So bildeten Mozarts Le nozze di Figaro, Verdis Nabucco sowie ein Silvester- und Neujahrskonzert den Schwerpunkt der Auftakt-Festspiele zwischen Weihnachten und dem 6. Jänner 2013.
Aber auch Architekturinteressierte wird es in den Mühlgrund ziehen. Die ausführenden Architekten, das Wiener Büro Delugan Meissl, eifern mit ihrem Entwurf nämlich jenem Passionsspielhaus nach, das seit 1998 Heimat der Tiroler Festspiele ist. Es wurde nach den Plänen von Robert Schuller in den 1950er-Jahren erbaut und gilt bis heute als akustisches und architektonisches Meisterwerk. Einziges Manko: Wegen fehlender Heizung kann es nur im Sommer bespielt werden. Gustav Kuhn, Dirigent und künstlerischer Leiter der Festspiele, rief daher vor gut fünf Jahren zum Wettbewerb für den Neubau einer wintertauglichen Alternative.
Delugan Meissl Associated Architects (kurz: DMAA) überzeugten unter 15 Einreichungen. Mit ihrem frei stehenden Entwurf beweisen sie Gespür für das Spiel mit Gegensätzen. Der schwarze, zackige Bau fügt sich in die Landschaft ein und bildet zugleich einen Kontrast zum historischen Pendant.
Zum einen ist da das farbliche Wechselspiel. Während die weiße Oberfläche des Passionsspielhauses im Sommer vor dem dunklen Wald leuchtet, fällt der schwarze Neubau wenig auf. Im Winter ist es dann umgekehrt: Wenn die Landschaft verschneit ist, sticht die dunkle Fassade heraus.
Ein gravierender Unterschied liegt auch in der Form der beiden Häuser. Während sich der geschwungene Bau aus den Fünfzigern turmartig in die Höhe schraubt, prallen beim Neubau gerade Linien spitzwinkelig aufeinander. Zu Recht erinnert die Form an einen Felsen, der aus dem Hügel ragt und damit Bezug zum umliegenden Bergmassiv aufnimmt.
Die Fassade ist mit Tausenden dunkelgrauen Faserzementplatten bedeckt, deren unterschiedliche Formen bei genauem Hinschauen ein interessantes Puzzlebild ergeben.
die Konstruktion orientiert sich an der Topografie und erinnert an die Schichtung tektonischer Platten. Gut erkennbar ist das etwa an den Seitenwänden und am Plafond des Konzertsaals. Draußen weisen die zahlreichen Vorsprünge und Spalten den Weg in das Innere des Baus. Für einen besonderen Effekt sorgen die Faltungen bei Dunkelheit, denn dann geben sie Einblicke in das beleuchtete Foyer frei.
Im Eingangsbereich liegt das Augenmerk auf den Blickbeziehungen zum benachbarten Passionsspielhaus. Gut zu sehenist das etwa von der verglasten Galerie über dem Foyer. Zudem setzt sich die tektonische Gebäudegeometrie durch unterschiedliche Raumbreiten- und höhen fort. Der Rest ist zurückhaltend gestaltet: Boden, Decke und Wände sind einheitlich in Weiß gestrichen.
Umso überraschender ist der Farb- und Materialwechsel im Inneren des Konzertsaals. Boden, Wand und Decke sind mit gebeiztem Akazienholz getäfelt und gedämpfte, satte Nuancen schaffen eine warme und behagliche Raumkomposition.
862 Zuschauer finden darin Platz. Die steile Tribüne sichert selbst von den hinteren Reihen gute Sicht auf die 450 Quadratmeter große Bühne – und den Orchestergraben, der mit 160 Quadratmetern der größte der Welt ist.
Den Grundstein für ihr Architekturbüro legten Roman Delugan und Elke Delugan-Meissl im Jahr 1993. Später kamen Dietmar Feistel und Martin Josst als Partner dazu und der Büroname wurde zu Delugan Meissl Associated Architects erweitert.
Der „Balken“ in der Donaucity und der Mischek Tower – zwei Wohnbauten in Wien – zählen zu den ersten Großprojekten. Während der nunmehr 20-jährigen Tätigkeit sind viele weitere Wohnbauten in Wien entstanden, etwa „Simply 11“ in Simmering, die „Brauerei Liesing“ oder die Kallco City Lofts und das Hochhaus am Wienerberg. Im Ausland beruhen unter anderem das Porsche Museum in Stuttgart oder das EYE Film Institut in den Niederlanden auf ihren Plänen.