"Beton": Kunstvolles Grau
Von Claudia Elmer
70 Jahre nach Christus entdeckten die Römer, dass das Vermengen von Asche, Kalk, Stein und Wasser eine knochenharte Substanz ergibt. Und dass sich damit Bauwerke großer Dimension – etwa das Kolosseum oder das Pantheon – wunderbar modellieren lassen. Daran hat sich wenig geändert. Wie schon vor 2000 Jahren werden auch heute Zement, Sand und Wasser zu einem der weltweit wichtigsten Baustoffe verrührt, um gigantische Gebäude, Brücken und Straßen zu realisieren.
Die Möglichkeiten des Materials faszinieren auch viele Künstler – ein Umstand, dem sich nun eine Schau in der Kunsthalle Wien widmet. "Beton" lautet der Titel, den die Kuratoren Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen ihrer Ausstellung verliehen. Der Blick richtet sich auf die 50er- und 60er-Jahre, in denen Beton als Inbegriff der Moderne gefeiert wurde. Besonderes Augenmerk gilt dem sogenannten Brutalismus – ein eigener, auf das Material bezogener Baustil (benannt nach dem französischen Wort für Sichtbeton: béton brut). Der Begriff bezeichnet einerseits die expressive Verwendung von Beton. Andererseits impliziert er ideologische Werte: Denn Brutalismus steht auch für sozialen Wohnungsbau, kommunale Bildungseinrichtungen, Kulturzentren und Universitäten.
Weil viele Gebäude der damaligen Zeit vom Abriss bedroht sind, arbeiten Künstler noch einmal ihre ursprünglichen Ideen heraus. Werner Feiersinger etwa zeigt eine Serie von Fotografien visionärer oberitalienischer Bauten der 50er- bis 70er-Jahre.
Sofie Thorsen greift auf Spielplastiken zurück und reflektiert ein Kunst-am-Bau-Programm der Wiener Nachkriegszeit, für das Künstler Betonskulpturen, die auch als Spielgerät für Kinder dienten, entwarfen. Aber auch die Skulpturen der Künstlerin Isa Genzkens stellen die Vielschichtigkeit von Beton zur Schau und erinnern daran, dass Architektur mehr sein kann als nur gebauter Raum.
Zeitgenössische Kunstschaffende richten ihren Blick auf die Stadtplanung der Spätmoderne. Mit Werken von Kasper Akhøj, Monica Bonvicini, Mark Boyle, Andreas Bunte, Tom Burr, Thomas Demand, Werner Feiersinger, Karsten Födinger, Cyprien Gaillard, Isa Genzken, Liam Gillick, Susanne Kriemann, David Maljković, Ingrid Martens, Isa Melsheimer, Maximilian Pramatarov, Heidi Specker, Ron Terada, Tercerunquinto und Sofie Thorsen.
Bis 16. Oktober 2016. Kunsthalle Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Tel. 01/52 18 9-0. Öffnungszeiten: Täglich 11–19 Uhr, Donnerstag 11–21 Uhr. www.kunsthallewien.at