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Architekturfestival "Turn On" in Wien

KURIER: Sie leiten seit 2003 das von Ihnen gegründete Architekturfestival "Turn On". Worum geht es?
Margit Ulama:
Am Anfang stand die Idee, ambitionierte Beispiele der aktuellen Architekturentwicklung aufzugreifen und zu präsentieren. Dieser Gedanke hat sich im Lauf der Zeit verfestigt und weiterentwickelt. Das Konzept folgt Jahr für Jahr einem recht strikten Schema: Es gibt an einem Tag, dem Samstag, halbstündige, fortlaufende Vorträge zum Thema Wohnen, als auch zu gemischten Bauaufgaben.

Wie hat sich die österreichische Architekturszene in dieser Zeit entwickelt?
Sie ist sehr lebendig und anspruchsvoll. Im Lauf der vergangenen fünfzehn Jahre sind viele unterschiedliche Positionen und Zugänge hervorgegangen. Auf diese heterogene Landschaft aufmerksam zu machen, ist ein weiteres Ziel von "Turn On". Kann man die unterschiedliche Herangehensweise an einem konkreten Beispiel festmachen? Man muss sich nur bei Coop Himmelb(l)au und Jabornegg Palffy umsehen: Zwischen deren Entwürfen liegen Welten. Ihre Arbeiten spannen einen Bogen vom Minimalismus bis zum Postdekonstruktivismus. Dabei möchte ich aber betonen, dass ich solchen Schlagwörtern auch skeptisch gegenüberstehe.

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Wie betrachten Sie die österreichische Architekturszene beispielsweise im Vergleich zur Schweiz?
Die Bandbreite an unterschiedlichen Zugangsweisen ist in der Schweiz weniger gegeben. Obwohl dort auch interessante Architektur entsteht, sind sich die Entwürfe viel ähnlicher als in Österreich. Alles ist sehr reduziert und minimalistisch.

Welche Bauwerke stehen heuer auf dem Festival-Programm?
Das ist breit gefächert – vom revitalisierten Bregenzerwälderhaus über den geförderten Wohnbau bis hin zu MPreis-Märkten, Museen, Ausstellungsgestaltungen und Entwicklungsprojekten in China oder Simbabwe. Ein prominentes Projekt ist in diesem Jahr auch der Erste Campus in Wien von Henke Schreieck Architekten. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie Freiraum in Gebäudekonstellation hineinfließen kann und auch noch im Inneren als halböffentlicher Raum eine Rolle spielt.

Nach welchen Aspekten wählen Sie die Projekte für "Turn On" aus?
Natürlich sind Kriterien wie Raum, Fassade, Inhalt und Ästhetik bzw. deren Wechselwirkungen entscheidend für die Auswahl. Parallel dazu habe ich durch mein Architekturstudium und durch das Verfassen zahlreicher architekturtheoretischer Texte einen Wissensstand erreicht, der mir als Basis für grundsätzliche Entscheidungen, was ich für gut befinde und was nicht, dient. Mit Arno Ritter aus Innsbruck und Christian Kühn aus Wien habe ich außerdem einen Beirat, der mich bei der Finalisierung des Programms am Samstag unterstützt.

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Wie läuft das bei der Programmschiene "Turn On Partner"?
Dieser Thinktank bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur und Wirtschaft und widmet sich fachspezifischen Fragen des Bauens. Unternehmen und Architekturbüros stellen gemeinsam neue Projekte und Entwicklungen vor. Ziel ist es, die Anforderungen der Planer an die Industrie weiterzugeben bzw. umgekehrt neue Produkte und Lösungen für Architekten vorzustellen. Es sollen in beide Richtungen konstruktive Anregungen entstehen.

Welche Programmpunkte können Sie heuer empfehlen?
Highlights möchte ich keine nennen, aber es gibt einige Themenschwerpunkte. Was moderne Architektur kann, wird in Tirol gut demonstriert. Innsbruck hat sich fast zu so etwas wie einer Vorzeigestadt entwickelt. Unter anderem wird der Entwurf der Architektin Silvia Boday zur Modernisierung der Siedlung "Pradler Saggen" präsentiert. Bei "Turn On Partner" werden spannende, konstruktive Lösungen vorgestellt. Tom Kaden wird etwa über den mehrgeschoßigen Wohnbau in Holzbauweise in Berlin berichten. Zum Thema Projektentwicklung werden drei Bauträger aus drei Städten gegenübergestellt: Die BIG (Bundesimmobiliengesellschaft, Anm.) mit dem Med Campus in Graz, die IC Projektentwicklung mit dem Viertel Zwei Plus samt Studio 2 in Wien und die Innsbrucker Immobilien GmbH mit dem Haus der Musik in der Tiroler Landeshauptstadt.

Ein Fokus liegt auch auf der Architekturvermittlung. Besteht hier Aufholbedarf?
Räume beeinflussen unser Leben und wirken sich darauf aus, wie wir uns fühlen. Aber die Frage, wie ich wohnen möchte, können nur wenige genau beantworten. Dies bewusst zu erleben benötigt Information, Erfahrung und Wissen. Daher wird sich die diesjährige Talkrunde am Samstag mit diesem Thema beschäftigen.

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Nehmen die Menschen Architektur zu wenig wahr?
Das glaube ich auch. Es ist eine Frage der Bewusstmachung. Zum Thema Vermittlung gibt es ein gutes Projekt in Innsbruck: Die Kunst- und Architekturschule "bilding", die vergangenen Herbst im Rapoldipark in Betrieb ging. Es handelt sich um ein weißes Bauwerk mit in den Park ausgreifenden Gebäudeflügeln, das sich der Architektur- und Kulturvermittlung für Kinder widmet. Ein tolles Stück Architektur mit schönem Inhalt.

Wie schätzen Sie generell das Interesse an Architektur in der Gesellschaft ein?
Das Bewusstsein könnte insgesamt schon höher sein. Das öffentliche Interesse konzentriert sich oft nur auf Highlights, die in der Zeitung stehen, vornehmlich dann, wenn es einen Skandal gibt. Wobei sich dank spezieller Vermittlungsprogramme und Besichtigungsangebote diverser Institutionen das Bewusstsein schrittweise ändert. Dass Architektur unser Leben bestimmt, sollte sich jeder vergegenwärtigen.

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Das „Turn On“ Festival, bei dem die Architekturstiftung Österreich als Veranstalter auftritt, wird traditionell am Donnerstag eröffnet und bietet an zweieinhalb Tagen ein breites Programm zu brisanten Themen des gegenwärtigen Bauens.

3. bis 5. März 2016, Großer Sendesaal im ORF RadioKulturhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien. Eintritt frei, keine Anmeldung nötig. www.turn-on.at