Zahlreiche Vorbehalte gegen Psychopharmaka
Von Ingrid Teufl
Psychopharmaka verändern die Persönlichkeit.“ – „Sie wirken ja gar nicht.“ – „Sie machen abhängig.“ Das sind nur einige Vorurteile, mit denen die Psychiaterin und Psychotherapeutin Christa Radoš in ihrer Arztpraxis und als Primaria am LKH Klagenfurt häufig konfrontiert wird. „Das erschwert die Therapie.“ Doch eine zeitweilige Behandlung ist aufgrund steigender Zahlen psychischer Probleme – von Depressionen über Ängste bis zu Burn-out – heutzutage immer häufiger notwendig. Bis zu ein Viertel der Bevölkerung leidet in verschiedensten Ausprägungen daran.
Die Medikamente, die dagegen eingesetzt werden, sind aber vielfach verpönt. Einen Grund sieht Radoš in ihrer pauschalen Beurteilung. „Dabei stellen Psychopharmaka keineswegs eine homogene Gruppe dar. Es handelt sich um ein sehr breites Spektrum sehr unterschiedlicher Wirkstoffe.“ Sie vergleicht es mit der internen Medizin. „Niemand würde von ‚internistischen Präparaten‘ sprechen. Da wird sehr genau unterteilt, etwa in Blutdrucksenker oder Blutverdünner.“
Oft hoffen Menschen, ohne Tabletten aus ihrer psychischen Beeinträchtigung herauszukommen. „In manchen Fällen sind eine akute psychiatrische Intervention und der Einsatz von Psychopharmaka unbedingt nötig“, betont Univ.-Prof. Michael Freissmuth, Leiter des Instituts für Pharmakologie an der MedUni Wien. Viele Ängste beruhten auf früheren Erfahrungen oder Erzählungen. „Moderne Psychopharmaka sind wesentlich besser verträglich. Seit ihre Wirkmechanismen bekannt sind, ist es möglich, nach Substanzen zu suchen, die nur an die ‚richtige‘ Zielstruktur binden.“
Medikament Zeit
Hier aufzuklären, ist vielleicht die wichtigste Aufgabe eines Psychiaters, meint Georg Schönbeck, niedergelassener Psychiater in Wien. Zeit ist dafür das wichtigste Medikament. Denn: „Neben generellen Vorbehalten sehen es viele Betroffene als persönliche Niederlage an, Psychopharmaka einnehmen zu müssen oder sind misstrauisch. Hier ist es wichtig, sich als Arzt die Zeit zu nehmen, zuzuhören und Ängste ernst zu nehmen.“ Wissen und Einfühlungsvermögen seien wesentliche Voraussetzungen. „Im Idealfall fühlt sich der Patient besser verstanden, ist erleichtert und hält so auch die Therapie besser ein.“
Zur Aufklärung gehört auch, sich vom „somatischen Gesundheitsmodell“ zu verabschieden. Leider funktioniert die Psyche nicht nach dem weit verbreiteten Reparatur-Muster „ein Tabletterl und alles ist wieder gut“. „Aus einer Depression oder ähnlichem wieder herauszukommen, ist ein mühsamer Prozess, der viel Eigenverantwortung erfordert. Die Aufgabe des Arztes ist, diesen Weg zu begleiten.“ Was diese Arbeit sowie die Akzeptanz der Psychopharmaka ebenso erschwert, ist häufig die verzögert einsetzende Wirkung. Auch hier beseitigt Information Unsicherheiten, sagt Freissmuth. „Das Gehirn ist ein plastisches Organ, in dem synaptische Kontakte ständig neu organisiert werden. Die Nervenzellen lernen, mit dem neuen Input fertigzuwerden. Sie werden sozusagen reprogrammiert, weil sich ihre genetische Information verändert. Und das dauert einige Zeit.“