Quarantäne: Hausarrest für die Gesundheit
In seiner Novelle „Il Decamerone“ beschreibt Giovanni Boccaccio, was es bedeutete, wenn durch eine Krankheit die öffentliche Ordnung zusammenbricht. 1348/49 raffte eine Epidemie fast ein Viertel der Europäer dahin, blühende Städte wurden ein Schatten ihrer selbst. Sogar Ärzte, Priester und Verwandte flohen, Tote wurden nicht mehr bestattet.
Als in den oberitalienischen Häfen nichts mehr gegen die Pest half, führten die Stadtoberen eine Wartezeit für einlaufende Schiffe ein. Die Überlegung dahinter: Kam der Tod nicht oft genug von weit her über das Wasser? 40 Tage sollten die Seeleute nicht an Land – quarantina di giorni auf Italienisch. Wir kennen die Maßnahme bis heute als Quarantäne. Wo das zuerst passiert, ist umstritten.
Ragusa oder Venedig
So viel weiß der Medizinhistoriker Herwig Czech von der Medizinischen Universität Wien: „Die Quarantäne, fast schon in ihrer modernen Form, wurde zuerst in Ragusa, Venedig oder Marseille eingeführt.“ Für Venedig kursiert das Jahr 1374. Möglicherweise war aber die Republik Ragusa noch früher dran. Sicher ist, dass im heutigen Dubrovnik im Jahr 1377 Ankömmlinge isoliert wurden.
Instinktiv hielten die Menschen so etwas wie eine Inkubationszeit ein. Die Idee sei aber viel älter, sagt Czech: „Bereits in der Antike waren verschiedene Maßnahmen üblich. Die Idee einer 40-tägigen Frist, um ‚Unreinheit‘ zu isolieren, hat einen alttestamentarischen Bezug. Zum Beispiel haben sich sowohl Moses als auch Jesus 40 Tage in die Wüste zurückgezogen.“
Ab 1423 verbannte Venedig jeden potenziell Kranken auf eine Insel – Lazzaretto Vecchio. Für die Isolierten war die Quarantäne mitunter die größere Gefahr – vor allem, wenn sie noch nicht infiziert waren und sich erst durch die Isolation mit den Kranken ansteckten. Bald erkannten das auch die Stadtoberen. Und trennten sie von den Kranken – 1468 eröffnete das Lazzaretto Nuovo auf einer anderen Insel. Dort gab es Essigbäder für die Menschen, die Schiffsladungen wurden in einer Halle „desinfiziert“ – gelüftet, der Sonne und dem Rauch von Rosmarin, Wacholder und Kräutern ausgesetzt.
Seuchen-Kontrollsystem
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Quarantäne zu einer beliebten Maßnahme gegen viele Infektionskrankheiten. Als im 15. Jh. stehende Heere entstanden, wurde es möglich, nicht nur Inseln, sondern ganze Städte abzuriegeln. Das wohl größte Seuchen-Kontrollsystem errichtete Österreich-Ungarn mit einem 1.850 Kilometer langen Cordon sanitaire. Czech: „Österreichs Militärgrenze war ein Pufferstreifen zwischen dem Habsburger- und dem Osmanischen Reich.“ Dort sollten Beobachtungsstationen nicht nur Angreifer, sondern auch Seuchen aus dem Orient fernhalten.
Der Medizinhistoriker weiter: „Auch bei der Migration spielte die Quarantäne eine große Rolle“. Besonders großen Rückhalt hatte sie in den USA, weil sich das Einwandererland so schützen wollte. „Bis Mitte der 1950er-Jahre sind an die zwölf Millionen Menschen über Ellis Island in New York in die USA eingewandert. Infektionskrankheiten waren ein großes Thema.“ Wer Anzeichen eines Infekts zeigte, musste auf einer Insel auf die Einreise warten. Sogar als 1969 die Apollo-Astronauten vom Mond auf die Erde zurückkamen, schickte man sie aus Angst vor Mond-Keimen für Wochen in die Wüste.
Überzogen? Eher nicht, wenn man sich die Spanische Grippe vor Augen hält: Als 1918 im Rest der Welt ein unfassbares Sterben einsetzte, schützte sich Australien durch Abschottung. Man hatte gute Voraussetzungen, sagt Czech: „Die erste Welle 1918 konnte abgewehrt werden, aber dann ist im Jänner 1919 am einzigen Einreisepunkt ein Infizierter durchgeschlüpft. Die Folge: Durch ihn wurden 40 Prozent der Bevölkerung infiziert.“