Wissen/Wissenschaft

Corona brachte bisher längste und stillste seismische Ruhephase

Die Erde bebt ständig, wobei ein Teil dieser Erschütterungen von Aktivitäten des Menschen verursacht wird - von Atomtests über den Verkehr bis zum Torjubel im Stadion. Durch den Lockdown in der Corona-Pandemie kam es zu einer massiven Reduktion dieser menschgemachten seismischen Aktivität - der längste und stärkste Rückgang seit es Aufzeichnungen gibt, berichten Forscher im Fachjournal Science.

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder einzelne Berichte über den Corona-bedingten Rückgang der sogenannten "seismischen Bodenunruhe", also der menschlich verursachten Schwingungen der Erdoberfläche, die von Erdbebenmessgeräten erfasst werden. Nun liegt die erste weltweite Studie dazu vor. 66 wissenschaftliche Einrichtungen aus der ganzen Welt lieferten Daten von 268 seismischen Stationen, darunter die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), die Daten aus Österreich bereitstellte.

Die Reduktion der seismischen Bodenunruhe folgte den Corona-Maßnahmen und begann bereits im Jänner dieses Jahres in China, gefolgt von Europa und vielen anderen Ländern im März und April. Die Schwingungen waren vielerorts geringer als in den üblicherweise ruhigsten Zeiten - den Wochenenden und den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr. Im weltweiten Mittel ging die seismische Bodenunruhe von März bis Mai 2020 um rund 50 Prozent zurück.

Für Österreich wertete die Seismologin Maria-Theresia Apoloner von der ZAMG unter anderem die Daten von Erdbebenstationen in Wien und Damüls (Vorarlberg) aus. Während des Lockdowns gingen die Messwerte durchschnittlich um bis zu 25 Prozent zurück, in Damüls waren sie kurzzeitig sogar um bis zu 60 Prozent reduziert.

Üblicherweise stören die menschgemachten Vibrationen die Erdbebenforscher. Sie müssen diese mit aufwendigen Verfahren herausrechnen, um Erdbeben besser analysieren zu können, so Apoloner in einer Aussendung der ZAMG. "Die neuen Daten helfen uns, industrie- und verkehrsbedingte Erschütterungen zu identifizieren, wodurch wir diese besser eliminieren können", betonte die Seismologin. Außerdem würden die Daten Gebiete in Österreich mit sehr geringer Bodenunruhe zeigen, die optimale neue Standorte für Seismometer wären.

Weniger Stadtlärm

Die Analyse der Daten zeigte auch, dass die seismische Bodenunruhe gut die menschliche Aktivität und Mobilität widerspiegelt. So gingen etwa in Brüssel während des Lockdowns die menschlich verursachten Bodenschwingungen um 33 Prozent zurück. Um diesen Wert gingen auch der mit Mikrofonen gemessene Stadtlärm und die per Handy-Daten eruierten Mobilität zurück - wobei die Messung menschlicher Aktivität und Mobilität mittels seismischer Daten den Vorteil hat, keine Probleme mit dem Datenschutz zu verursachen.

Die Daten würden aber auch bei Fragen der Erdbebengefährdung nutzen, betonte Apoloner. Bisher beziehen die Forscher ihre Informationen über den Aufbau des Erdinneren und damit über die Erdbebengefahr vor allem durch Analyse von Erdbebenwellen und ihrer Ausbreitung. "In letzter Zeit gab es interessante Studien, die seismische Bodenunruhe an verschiedenen Bebenstationen verglichen um damit die Struktur des Untergrundes zu analysieren", so Apoloner. Der Vorteil der menschlich verursachten Schwingungen sei, dass diese immer da seien und für lokale Bodenuntersuchungen herangezogen werden können.