Wissen/Wissenschaft

Amazonas: Warum Brandrodung Artenvielfalt und Mensch bedroht

Satellitenbilder irren nicht. Die Schnappschüsse aus dem All belegen, was aus der Nähe oft – und teilweise gerne – übersehen wird: Die grüne Lunge des blauen Planeten bekommt graue Flecken. Innerhalb von zwölf Monaten wurden 11.000 km² an Waldfläche vernichtet; das entspricht etwa 1,5 Millionen Fußballfeldern. Dieses Tempo in Sachen Abholzung und Brandrodung wurde zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt verzeichnet. Das bleibt nicht ohne Folgen.

„Die massive Entwaldung setzt dem Weltklima, der indigenen Bevölkerung am Amazonas und der einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt dort zu“, sagt Georg Scattolin vom WWF. Immer wieder schlagen Umweltschutzorganisation wegen der Bedrohung der letzten riesigen Urwälder Alarm. Diesmal berichten sie von Rekorden. Die brasilianische Weltraumbehörde zählte allein im September 2020 mehr als 32.000 Feuer entlang des wasserreichsten Flusses der Erde.

Ökosystem angeschlagen

„Es gibt Ökosysteme auf der Welt, die sich an wiederkehrende Brände angepasst haben. Der immer feuchte Tropenwald gehört nicht dazu“, sagt der Biologe. Sprintern wie dem Jaguar und Überfliegern wie dem Tukan gelingt öfter die Flucht. Doch die verbrannte Erde lässt den Überlebenskünstlern mitunter zu wenig Nahrung; so manches Beutetier verendet in den Flammen. Immobile Arten wie Faultiere oder Insekten gehen erst recht in der Hitze des Gefechts zugrunde.

Alle Inhalte anzeigen

Auch Spezies unter Wasser sind in Gefahr. „Der Rosa Delfin, Fische und Frösche sind kaum in der Lage, mit den rapiden Veränderungen ihrer Umwelt fertig zu werden“, beschreibt Scattolin das verheerende Ausmaß. Feuer verändert die Wasserchemie und -temperatur, Asche überdüngt die Gewässer. Bleiben Fische auf der Strecke, fehlt ein wichtiges Glied in der Nahrungskette. Der Riesenotter etwa, ohnehin durch Bejagung unter Druck, leidet Hunger.

Alle Inhalte anzeigen

Pflanzen verschwinden

Doch nicht nur die Fauna ist in Bedrängnis, auch die Flora verliert an Vielfalt. „Es steht zu befürchten, dass der Boden austrocknet, wenn das Blätterdach fehlt“, sagt der WWF-Experte. Der Kreislauf von Wachstum, Sterben, Zersetzen, Gedeihen läuft im Tropenwald auf Hochtouren. Ununterbrochen; keine Zeit für Humusbildung. Verglühen Pflanzen oder werden Bäume gefällt, verschwinden mit ihnen die Nährstoffe. Zurück bleibt bald unfruchtbares Land. Die Sonne über dem einstigen Schattenreich tut ihr Übriges.

„Manche Tiere am Amazonas haben in ihrem evolutionären Gedächtnis nur Wald gespeichert“, sagt Scattolin. Ist der Dschungel zerstört oder eine Schneise für den Straßenbau geschlagen, stellt diese Fläche unter freiem Himmel eine unüberwindbare Barriere dar. Das Überleben stößt an Grenzen.

Alle Inhalte anzeigen

Krisenschutz Artenvielfalt

„Artenreichtum ist der beste Schutz vor Krisen; er nützt dem Menschen“, sagt Scattolin. Ein Bäumchen-schüttle-dich im Regenwald bringt auf dem unterbreiteten Tuch mitunter ein bisher unbekanntes Insekt zum Vorschein. Einzigartiges blüht auf. In der Vergangenheit wurde so mancher Wirkstoff für Arzneimittel am Amazonas gewonnen. Zudem regulieren Bäume das Klima.

Was ausstirbt, lässt sich kaum wiederbeleben. „Wiederbewaldung dauert im Tropenwald ewig lang. Lokal begrenzte Arten könnten für immer verloren sein“, warnt der Naturschützer. Mit dem WWF fordert er von der Regierung Brasiliens, den Schutz des Amazonas und dessen Biodiversität nicht länger zu sabotieren. Gleichzeitig nimmt er Europa und Österreich in die Verantwortung. Der Zusammenhang zwischen westlichem Konsumverhalten und der Zerstörung von Tropenwäldern sei klar. Scattolin setzt im Großen an: „Wir brauchen ein starkes EU-Waldschutzgesetz gegen den Import von Produkten, die den Regenwald zerstören.“ Und im Kleinen: „Jeder kann selbst entscheiden, was er kauft.“