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Wirbel um „giftige Gelenke“

Ich habe bereits im Jänner 1999 aufgehört, solche Prothesen zu verwenden“, erzählt der renommierte Orthopäde Univ.-Prof. Karl Zweymüller: „Schon damals sahen wir, dass es frühzeitig zu Komplikationen – Gelenksergüsse, ein Rückzug des Knochens und letztlich eine Lockerung des Implantates – kam. Zum Glück waren diese Implantate bei uns nie so verbreitet.“

Laut gemeinsamen Recherchen des British Medical Journal (BMJ) und der BBC könnten weltweit Hunderttausende Menschen von Hüftprothesen betroffen sein, die möglicherweise giftige Schwermetall-Ionen (Kobalt und Chrom) absondern und zu Organschäden führen – die Süddeutsche Zeitung schreibt von „Giftigen Gelenken“.

Konkret geht es um Gelenksprothesen, bei denen Metall auf Metall trifft: Diese gelten als widerstandsfähiger und belastbarer als Gleitflächen aus Polyethylen und Keramik. Allerdings hat sich das in Vergleichsstudien so nicht bestätigt.

„In Österreich hat nur ein verschwindend kleiner Teil der Implantate eine Metallgleitfläche in der Pfanne und einen Metallkopf“, sagt Univ.-Prof. Gerald Pflüger vom Evangelischen Krankenhaus in Wien: „Wir haben bereits Mitte der 1990er-Jahre damit aufgehört.“ Besonders stark sei der Abrieb bei Pfannen und Gelenksköpfen mit einem großen Durchmesser.

Geringer Anteil

„Rund 0,4 Prozent aller in Österreich implantierten Hüftprothesen sind Metall auf Metall“, sagt Univ.-Prof. Marcus Müllner von der Aufsichtsbehörde AGES-PharmMed. Laut Statistik Österreich wurden 2010 16.811 Hüftprothesen implantiert. 2010 mussten zwei Produkte wegen einer erhöhten Komplikationsrate vom Markt genommen werden – zumindest sieben weitere sind aber noch im Handel. „Zu diesen sind uns aber keine Meldungen von Nebenwirkungen bekannt“, sagt Müllner.

Pathologen des Otto-Wagner-Spitals (OWS) untersuchen seit Jahren Gewebeproben von Patienten mit derartigen Prothesen – und stellen häufig allergische Reaktionen fest: „Sehr häufig sind im Gewebe zwischen Prothese und Knochen Entzündungsreaktionen zu beobachten“, sagen Univ.-Doz. Monika Huber und Univ.-Prof. Felix Lintner. „Und es kommt zum Abbau von Knochensubstanz.“ Das Implantat lockert sich.

Die britischen Wissenschafter kritisieren, dass die Probleme seit Langem bekannt, gleichzeitig aber die Zulassungsbestimmungen für derartige Medizinprodukte viel zu lax seien.

„Die Aufsicht für jene Stellen, die für die Registrierung von Medizinprodukten wie Prothesen zuständig sind, ist optimierbar“, sagt auch Müllner: „Eine Verschärfung der Bestimmungen ist in der EU geplant.“ Es gebe auch Studien, die zeigen, dass die wissenschaftliche Qualität der für eine Zulassung von Medizinprodukten notwendigen Daten schlechter als von Arzneimitteln sei.

Die britische Aufsichtsbehörde MHRA rät Trägern solcher Prothesen jetzt lebenslang zu einer jährlichen medizinischen Kontrolluntersuchung. „Dazu rate ich aber generell jedem Prothesenträger“, sagt Pflüger. „Auftretende Schäden können so frühzeitig erkannt werden.“ Eine der vom British Medical Journal genannten Firmen (DePuy) erklärt in einer Stellungnahme, dass die Mehrheit der Patienten „ein sehr geringes Risiko für ernste Probleme“ habe.

Info: Lange haltbar auch ohne Metall

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Kein Abrieb Das Bild zeigt eine von Univ.-Prof. Zweymüller entwickelte Hüftprothese: Der Schaft und die Pfanne sind aus Titan, die Kugel (Gelenkkopf) ist aus Keramik, die Pfanne hat als Gleitfläche einen Polyethyleneinsatz. Dadurch gibt es keinen Metallabrieb.

Langes Leben Untersuchungen zeigten, dass derartige Prothesen nach 15 Jahren noch von 98 Prozent der Patienten ohne Probleme getragen werden. Welche Materialien verwendet wurden, steht im Prothesenpass.