Wie mit Hilfe der Gene neue Therapien entwickelt werden
Von Ernst Mauritz
Vor 150 Jahren hat Gregor Johann Mendel seine drei Regeln veröffentlicht, wie bestimmte Merkmale vererbt werden. "Heute gibt es kein medizinisches Fach, das so rasant wächst wie die medizinische Genetik", sagt Markus Hengstschläger, Professor für Medizinische Genetik und Leiter des "Zentrums für Pathobiochemie und Genetik der MedUni Wien." Er hält heute, Mittwoch, einen Festvortrag zum Thema "Zukunft der Gene: Medizinische Genetik – Quo Vadis?"
KURIER: Wie profitieren schon heute Patienten von einem Blick auf ihre Gene?
Markus Hengstschläger: Es sind drei Punkte, die entscheidend sind: Wir sind heute in der Lage, innerhalb von ein, zwei Tagen das gesamte Erbgut eines Menschen zu analysieren – je nach Genauigkeit um rund 2000 bis 4000 Euro, und in einigen Jahren wird das vielleicht um einige hundert Euro möglich sein. Vor fünfzehn Jahren, als im Rahmen des Human Genome Projects erstmals die vollständige Sequenzierung – also die Entschlüsselung der genauen Abfolge der DNA-Bausteine, der Basenpaare – eines Menschen gelang, war das ein Milliardenprojekt. Zweitens gibt es Durchbrüche bei den Therapien mit Stammzellen. Und drittens werden neue Technologien wie die Genschere CRISPR-Cas9 Heilungsmöglichkeiten für seltene genetische Erkrankungen bieten. Alle drei Punkte führen dazu, dass die Genetik immer mehr vom diagnostischen zum therapeutischen Fach wird – und dass wir den Begriff der Präzisionsmedizin erstmals in die Praxis umsetzen können.
Was hat sich bei Punkt eins, der Gen-Analyse, verändert?
Es gibt rund 4000 bis 5000 monogenetische Erkrankungen, die letztlich durch jeweils ein einzelnes Gen verursacht werden. Früher kam es oft vor, dass wir zum Beispiel ein Kind mit einer genetisch bedingten neurologischen Erkrankung bei uns hatten, aber nicht genau wussten, um welche es sich handelt. Dann haben wir ein Gen analysiert, anschließend das nächste. Jetzt können wir in kürzester Zeit das gesamte Erbgut untersuchen – wenn wir dann die Ursache der Erkrankung finden, ist auch viel öfter eine Behandlung mit Medikamenten möglich, die gezielt nur bei dieser oder jener genetischen Veränderung wirken.
Beispiele für Gentests gibt es schon in der Krebstherapie. Nur Brustkrebspatientinnen mit einer ganz speziellen Genmutation etwa – HER2/neu – erhalten das Medikament Herceptin. Gibt man es anderen Brustkrebspatientinnen, löst es starke Nebenwirkungen aus – und bringt nichts.
Zum zweiten Punkt: Wie weit sind Stammzelltherapien?
Seit langem werden Blutstammzellen gegen die Leukämie eingesetzt. Worum es aber jetzt geht, sind Stammzellen zum Beispiel zur Reparatur von Organschäden. So gibt es Studien mit einer seltenen Form einer Makuladegeneration (Netzhautleiden, Anm.), bei denen den Patienten Netzhautzellen in die Augen injiziert wurden. Solche Zellen können aus Stammzellen gewonnen werden, die noch die Fähigkeit haben, sich in jeden Zelltyp weiterzuentwickeln. Solche Stammzellen können von der jeweiligen Person, von Embryos oder aus dem Fruchtwasser stammen. Das Problem in solchen Studien bisher war, dass sich relativ viele Nebenwirkungen gezeigt haben, darunter häufig ein erhöhtes Krebsrisiko. Auch dank Forschungen an unserem Institut kennt man jetzt aber die Sprache der Stammzellen, die Signale, die sie an den Körper aussenden – und man kann diese blockieren. Dadurch kann ein Großteil der Nebenwirkungen unterbunden werden. Das wird künftig sicher zu einem breiteren Einsatz von Stammzellen führen.
Und die Gentherapien?
Die 2012 entdeckte "Gen-Schere" CRISPR-Cas9 ist einer der größten Durchbrüche in unserem Fach. Bei den seltenen Erkrankungen, die nur durch ein Gen verursacht werden, könnte es damit möglich werden, die krankmachende Genvariante auszuschneiden – und durch eine gesunde zu ersetzen. Das wird weltweit untersucht. Entscheidend bei allen drei Punkten ist aber die umfassende genetische Beratung durch Experten.
Anlass Ihres Vortrages ist eine für Österreich relativ neue Kooperation zwischen einer Universität und einer Firma: Der Hörsaal Ihres Instituts heißt jetzt Emanuel-Merck-Auditorium, nach dem Gründer der Pharmafirma Merck.
International ist so etwas längst üblich: Die Firma sponsert den Hörsaal, das Geld fließt in die Forschung. Unser Institut hat knapp 100 Mitarbeiter, darunter mehr als 20 habilitierte Mittelbau-ProfessorInnen: Ohne Drittmittel von Sponsoren oder die Einnahmen aus der Patientenbetreuung könnten wir das Institut in dieser Größe und die Forschung nicht finanzieren. Denn die öffentliche Forschungsfinanzierung ist nach wie vor zu niedrig.