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Wie man mit der Ostarrichi-Urkunde Österreichs Identität neu erfand

Bruchsal im heutigen Baden-Württemberg: Sorgfältig setzt ein Schreiber seine Feder auf das 48 mal 57 Zentimeter große Pergament, um den Willen des neuen deutschen Kaisers, Otto III., kundzutun: ... dass wir (...) gewisse Besitzungen (...) in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrichi heißt (...) der Freisinger Kirche (...) zu eigenem und ewigem Gebrauch überlassen ...

So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, als am 1. November 996 der Name Ostarrichi erstmals schriftlich festgehalten wurde. Das Schriftstück gibt es bis heute – im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Zum Nationalfeiertag kommt es für kurze Zeit nach Wien, ins Haus der Geschichte Österreich (hdgö). „Die Urkunde ist eine echte Zimelie, darum bekommen wir sie auch nur für eine Woche. Dann muss sie wieder weg vom Licht“, sagt die Direktorin des hdgö, Monika Sommer. „Sie ist wahnsinnig kostbar.“ Und anfällig. Darum reist die Ostarrichi-Urkunde am 25. Oktober in einer Klimakiste erstmals seit 1996 an. Sommer: „Es ist ein großes Entgegenkommen vom Bayrischen Staatsarchiv, dass wir die Urkunde überhaupt zeigen dürfen.“ Wobei: Bedeutend wurde das Pergament erst im 20. Jahrhundert. Im 10. war es eine Urkunde von vielen.

Rückblick

Man kannte einander: Der Beschenkte, Bischof Gottschalk von Freising, hatte den Schenker, den neuen deutschen Kaiser, 996 auf seinem Italienfeldzug begleitet. „Als Kaiser Otto III. dann – frisch gekrönt – von seiner Romreise zurückkam, hat er als eine seiner ersten Taten dem Bistum Freising Land im Osten geschenkt“, erzählt die Kulturwissenschafterin Birgit Johler vom hdgö. Eine damals übliche Praxis, sich bei jenen zu bedanken, die den neuen Herrscher bei der Kaiserwahl unterstützt hatten.

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Das Bistum hatte im 9. Jahrhundert schon ansehnliche Güter unter anderem in der Wachau erworben. Jetzt kam das etwa 14.000 Fußballfelder große Präsent „Ostarrichi“ dazu. Ostarrichi? „Das ist einfach ,ein Gebiet im Osten’“, sagt Johler. „Der Begriff wurde auch für andere Gebiete, die im Osten eines Landes lagen, gebraucht.“ Damals meinte man damit eine Region im Osten des damaligen Herzogtums Bayern, das wiederum im Südosten des Ostfränkischen Reiches lag – auf Lateinisch: Marchia orientalis (östliche Mark).

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Bald wanderte die Ostarrichi-Urkunde ins Archiv des Bistums Freising – und wurde mehr oder weniger vergessen. In Historikerkreisen war sie selbstverständlich bekannt. „Im 19. Jahrhundert wurde sie auch erforscht, war aber nicht von staatspolitischem Interesse“, erzählt Johler. Erst 1946 wurde sie hervorgeholt. Sommer: „Lange vergessen, erhielt sie nach dem Zweiten Weltkrieg Bedeutung, als die stark verkleinerte österreichische Republik auf der Suche nach einer neuen Identität war. Dokumentiert die Urkunde doch die erste urkundliche Erwähnung Österreichs.“

Lange Tradition (er)finden

Man versuchte eine lange Kontinuität zu (er)finden und zu beweisen, dass Österreich nie ein Anhängsel des Deutschen Reichs war, sondern ein selbstständiges Gebilde. Auf Initiative des damaligen Unterrichtsministers, Felix Hurdes, wurde für den Herbst 1946 die „Aktion ,950 Jahre Österreich’“ ausgerufen, um „die Jugend zu österreichischem Bewusstsein und zur Achtung vor der ruhmvollen Vergangenheit des Vaterlandes zu erziehen“. Sommer: „Mit dieser Urkunde hat man es geschafft, dem Land eine viel längere Tradition zu geben. Bis weit vor die Habsburger.“

Die zweite Karriere der Urkunde ist auch der zweite Schwerpunkt der gleichnamigen Ausstellung. Oder wussten Sie, dass ein Faksimile der Ostarrichi-Urkunde 1991 mit Franz Viehböck ins All flog? Der sogenannte Ostarrichi-Draken vom entsprechenden Schriftzug geziert wird? Die Ostarrichi-Kaserne 1982 in Amstetten eröffnet wurde? Und Papst Johannes Paul II. 1998 nach seinem Besuch in St. Pölten ein Ostarrichi-Faksimile mit nach Rom nahm?

Ausstellung: #Ostarrichi. Die Karriere einer Urkunde von 26.10. bis 3.11.2019. Am 26. Oktober lädt das hdgö bei freiem Eintritt in die Neue Burg ein.

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