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Wie London das Schulsystem revolutionierte

Brett Wigdortz will die Besten haben: Der Gründer von Teach First sucht nach Uniabsolventen, die für mindestens zwei Jahre begeisterte Lehrer sind – und das, obwohl sie gar kein Lehramtsstudium absolviert haben. Wie erfolgreich er damit ist, zeigt ein Blick nach London, wo die Organisation mittlerweile fast zehn Prozent aller neu eingestellten Pädagogen stellt, viele davon in leitenden Positionen.

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Teach First ist somit ein wesentlicher Faktor für die kleine Bildungsrevolution, die in London in den vergangenen 15 Jahren stattgefunden hat. Ja – es ist ausgerechnet die britische Hauptstadt, die es geschafft hat, im nationalen Vergleich gute Ergebnisse zu liefern, obwohl die Klientel dort nicht einfach ist: Der Migrantenanteil ist wie in den meisten westeuropäische Großstädten hoch, viele Kinder kommen aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien.

Leadership

Für Wigdortz, der auf Einladung von Neos-Chef Matthias Strolz in Wien referierte, ist das Geheimnis des Erfolgs "Leadership", also eine Art charismatischer und inspirierender Führung. "Wir brauchen Lehrer, die davon überzeugt sind, dass sie den Unterschied im Leben eines Kindes ausmachen können", sagt der Teach-First-Gründer im KURIER-Interview. "Gute Pädagogen sind Menschen, die nicht nur einen Job machen, sondern eine Vision haben. Sie vermitteln ihren Schülern, dass sie viel von ihnen erwarten und dass sie ihnen zutrauen, die in sie gesteckten Hoffnungen zu erfüllen. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie kein Kind zurücklassen." Ohne eine persönliche Beziehung funkioniert das nicht. Ein guter Lehrer ist ständig in Kontakt mit seinen Schülern und "geht ein Stück des Weges mit ihnen gemeinsam", so Wigdortz.

Wie das im Alltag aussehen kann, beschreibt er so: "In einer Schule habe ich erlebt, dass Schüler und Lehrer beim Mittagessen gemeinsam saßen. Einer referierte währenddessen über ein Thema und die anderen diskutierten darüber. Das hat mich begeistert." In so einer Situation merken die Schüler, dass ihr Lehrer ein Teil ihres Lebens sein will. Gleichzeitig wird das Denken geschult.

Viele Faktoren

Dass die Londoner Schulen mittlerweile so erfolgreich sind, hat aber noch mehr Ursachen, wie Ex-Direktorin und Bildungsexpertin Heidi Schrodt weiß, die sich intensiv mit dem Londoner Schulsystem beschäftigt. "Die Direktoren haben dort weitaus mehr Gestaltungsmöglichkeiten, werden aber auch zur Verantwortung gezogen, wenn die Ergebnisse schlecht sind."

Schulleiter können ihre Lehrer z. B. verpflichten, bestimmte Fortbildungen zu besuchen. Überhaupt wird davon ausgegangen, dass Pädagogen sich ständig selbst hinterfragen und versuchen, ihre Leistungen zu verbessern. Gelingt das nicht, kann sie der Direktor kündigen. Auf der anderen Seiten werden außerordentliche Leistungen belohnt: Wer in einer "Problemschule" unterrichtet, erhält mehr Gehalt.

Partnerschaften

Bewährt hat sich zudem, dass "gute" Schulen Partnerschaften mit Standorten eingegangen sind, die mit einer ähnlichen Schülerschaft schlechte Ergebnisse geliefert haben. Grundlage für Entscheidungen sind keine ideologischen Glaubenssätze, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Erfolg gibt den Verantwortlichen Recht: "Es gibt heute auch noch Schulen, die Kindern nicht die Bildung ermöglichen, die sie verdienen. Doch es gibt sehr viele, die Überdurchschnittliches leisten", stellt Wigdortz fest. Auch Schrodt zieht eine positive Bilanz: "Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in London am größten von ganz England, aber sie hat mittlerweile die geringste Auswirkung."

Bei Teach First will man sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. "Wir wollen in andere Städte wie Manchester, Liverpool oder Birmingham expandieren", sagt Wigdortz. Um eine Gruppe müsse man sich besonders kümmern: "Weiße Buben schneiden mittlerweile bei Vergleichstests am schlechtesten ab."

Die Idee kommt aus den USA: Bevor Universitätsabsolventen in der Wirtschaft arbeiten, unterrichten sie für zwei Jahre an einer Schule in sozialen Brennpunkten. Davor durchlaufen sie ein strenges Auswahl- verfahren. Manche bilden sich während der zwei Jahre zum Lehrer weiter, um danach dauerhaft zu unterrichten. Brett Wigdortz brachte Teach First nach England, seit 2002 ist er CEO. Das österreichische Pendant heißt Teach For Austria.