73 neue Drogen in einem Jahr: „Die Lage ist beunruhigend“
Die Konsumenten sind 17 bis maximal 28 Jahre alt, stammen aus allen Bevölkerungsschichten und spielen gerne eine Art russisches Roulette. Sie sind ständig auf der Suche nach einem neuen Kick und probieren verschiedenste Rauschgifte vor allem an den Wochenenden beim Fortgehen aus.
73 solcher „neuen Drogen“ wurden allein im Vorjahr in Europa erstmals nachgewiesen, fünf davon sind in Österreich entdeckt worden – so viele wie noch niemals zuvor. Zum Vergleich: In den zehn Jahren zuvor wurden insgesamt nur rund 150 neue Rauschgifte auf dem europäischen Kontinent festgestellt. „Das ist ein Grund zur Beunruhigung“, erklärt Rainer Schmid, Experte der Wiener MedUni für Toxikologie. „Opiate und Kokain stagnieren. Diese neuen Drogen sind die große Herausforderung, weil sie leicht erhältlich und großteils legal sind. Ein Verkauf ist kaum verhinderbar“, erklärt Wiens Drogenkoordinator Michael Dressel.
China und Indien
Statt in kleinen Giftküchen in Osteuropa kommen die neuen Drogen nun immer häufiger aus hoch technisierten Labors in China und Indien. „In Asien ist man da ähnlich hochspezialisiert wie in der Elektronikindustrie“, berichtet Schmid dem KURIER. Teilweise müsse man nur Geld überweisen und die chemische Formel mailen, dann bekommen Interessierte das erwünschte Produkt frei Haus geliefert. Meist sind diese Tabletten von der Wirkung her ähnlich den Amphetaminen oder Cannabis, da sie aber neue chemische Zusammensetzungen haben, sind sie in den meisten EU-Ländern nicht verboten.
In Wien gab es im Vorjahr auch zumindest einen Todesfall in Zusammenhang mit neuen Drogen. Ein Techno-Fan hatte drei Tage lang zwei der neu entdeckten Substanzen geschluckt und besuchte verschiedene Events – danach war er tot.
„Bei Alkohol weiß man, ob man eine Flasche Bier oder eine Flasche Wodka trinkt“, erklärt Sonja Grabenhofer von „Check it!“, wo Jugendliche ihre Drogen gratis und anonym testen lassen können. Bei so einer Analyse sehen die Konsumenten oft erst, wie schmutzig und wie stark die gekauften Tabletten tatsächlich sind.
„Das potenzielle Risiko neuer Drogen ist sehr groß. Es gibt keine Langzeitstudien, und deshalb ist die Wirkung und die Giftigkeit oft noch unbekannt“, warnt Schmid eindringlich. Zwei der 73 neuen Substanzen waren hochgefährlich, allein an diesen beiden Drogen starben bisher 40 Menschen in Europa.
Etwa 20 Mal im Jahr heißt es für das mobile Drogenlabor der von der Gemeinde Wien finanzierten "Checkit!"-Initiative buchstäblich "ausrücken". Dann tingelt das Team aus Labor- und Toxikologie- und Pharmakologie-Spezialisten zu großen Jugendveranstaltungen, um dort Information und Analysen zu betreiben.
"Unser Ziel ist eine Strategie der Risikominimierung", sagt der Wiener Toxikologe Rainer Schmid in dem blauen Bus, der mit High-Tech-Geräten und EDV sowie einem herkömmlichen Laborplatz angeräumt ist. Der Experte: "Vier Proben auf einmal können wir analysieren." Pro Event sind es so um die hundert, manchmal auch 200. Pro Jahr werden rund 6000 potenziell Betroffene erreicht
Gesucht wird nach den in der Party-Szene verbreiteten psychoaktiven Substanzen. Schmid: "Wir können natürlich nur finden, wonach wir suchen. Doch auch 'neue' Substanzen sind oft den älteren sehr ähnlich. Und dann sehen wir an unseren Kurven auch noch, ob da in einer Probe noch andere Stoffe enthalten sind." Je nach Zuordnung werden die Ergebnisse der nummerierten Analysen dann auf Aushängen mit unterschiedlichen Farben an einer Anschlagtafel "publiziert". Der Konsument weiß dann, ob eventuell Gefahr (rot) bestehen könnte.
Der positive Nebeneffekt von "Checkit!": Durch die Analysen und die Suche nach eventuell noch nicht bekannten Substanzen behält man in Wien und Umgebung auch Überblick über das, was am illegalen Markt angeboten wird. Und das quasi in Echtzeit. "Checkit!"-Pharmazeut Anton Luf: "Eine Analyse dauert nicht länger als fünf Minuten." Und mit Blick auf eine Kurve auf dem Computerbildschirm vor sich fügt er hinzu: "Das ist Amphetamin." Das nächste Mal vielleicht Ecstasy oder irgendeine jener hunderten Substanzen, die man offenbar als Drogendealer in fernöstlichen Labors bestellen kann, um damit vor allem ein jugendliches Konsumentenpublikum zu versorgen, das neben Musik und Tanzen etc. am Wochenende auch von - vorübergehenden - Rauscherlebnissen träumt.