Krankheit mit langem Vorspann
Von Ernst Mauritz
Es ist ein Umstand, der vielen nicht bewusst ist: Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wird entscheidend „von den 25 bis 30 Jahren vor dem Auftreten der ersten Symptome beeinflusst“, sagte Mittwoch der Neurologe Peter Dal-Bianco von der MedUni Wien, Präsident der Österr. Alzheimer-Gesellschaft, anlässlich des Welt-Alzheimer-Tages am Sonntag. „Der Krankheitsvorspann ist entscheidend. Wir haben ein großes Fenster für Präventionsmaßnahmen.“
Sieben große „Krankheitstreiber“ wie unbehandelter Bluthochdruck können den Ausbruch von Alzheimer deutlich vorverlegen. „Umgekehrt kann das Auftreten erster Symptome aber auch nach hinten verschoben werden, wenn man diese Faktoren beachtet und z. B. Bluthochdruck oder Diabetes behandelt.“
Schützende Effekte hat aber auch die Ernährung: „Eine Studie mit älteren Frauen zeigt, dass vermehrter Gemüsekonsum, vor allem Blattgemüse, das Risiko für geistige Beeinträchtigungen reduziert.“ Und Personen, die zwei Mal wöchentlich Fisch essen, haben ein um 28 Prozent niedrigeres Risiko für eine Demenz im Vergleich zu denen, die dies weniger als einmal pro Woche tun.
Ansteckungsgefahr?
Deutsche Neurologen diskutierten Donnerstag bei einer Tagung in München, ob eine Alzheimer-Demenz in bestimmten Fällen ansteckend sein könnte – etwa durch Gehirnoperationen (über das OP-Besteck) oder Bluttransfusionen. Solche Übertragungswege seien ein „derzeit ungeklärtes Risiko“. Dazu Dal-Bianco: „Eine derartige Übertragbarkeit ist aber beim Menschen weltweit noch nie nachgewiesen worden.“ Auch die deutschen Neurologen betonen, dass auf keinen Fall ein Ansteckungsrisiko für Pflegende besteht.
10 Warnzeichen und 7 Risikofaktoren:
Konkreter sind die Daten neuer Studien, dass Schädel-Hirn-Traumen das Demenzrisiko im Alter erhöhen können. Dabei muss es nicht so ein dramatischer Unfall wie bei Michael Schumacher sein. „Es gibt Hinweise darauf, dass mit einer steigenden Zahl von Kopfbällen beim Fußball bzw. von Zusammenstößen mit den Köpfen bei verschiedenen Sportarten Schäden entstehen, die das Risiko für eine Demenz erhöhen können“, sagt der Neurologe Gerhard Ransmayr vom AKH Linz. Wer durch solche Zusammenstöße zwei Mal bewusstlos werde, habe ein vierfach erhöhtes Alzheimer-Risiko. „Nervenzellen gehen zugrunde, die sonst im Alter als Reserve gedient hätten.“ In manchen Ländern werde diskutiert, Fußball mit weichen Helmen zu spielen.
Aktionsplan gefordert
Caritas Präsident Michael Landau und Patientenanwalt Gerald Bachinger fordern die rasche Entwicklung eines „Nationalen Aktionsplans Demenz“ – eine Strategie für Verbesserungen u. a. bei der Finanzierung von Betreuungsangeboten: „120.000 Betroffene dürfen nicht ins Abseits und nicht in Vergessenheit geraten.“
„Die Wertschätzung der Betreuenden ist uns als Alzheimer-Gesellschaft ein großes Anliegen“, betont auch Dal-Bianco. „Meist ist es der Partner und der Rest der Familie zieht sich langsam zurück.“ „Wir müssen wegkommen von einer Dämonisierung der Krankheit“, sagt Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste Wien: „Medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen zusammen – etwa ausreichende Unterstützungsangebote für die pflegenden Angehörigen – können einen Lebensabend in Freude möglich machen.“ Das sieht auch die ehemalige Opernball-Organisatorin, Lotte Tobisch-Labotyn, 88, so: „Man kann diesen Menschen das Leben durchaus noch lebenswert machen.“
Welche Demenz-Formen gibt es? Was ist bei der Pflege wichtig? Wo bekommt man Hilfe? Ein neues KONSUMENT-Buch "Alzheimer" - ab 25. 9. im Buchhandel - will die Angst nehmen, die häufig nur auf Unkenntnis beruht. Co-Autor ist der Alzheimer-Experte Univ.-Prof. Peter Dal-Bianco von der MedUni Wien. Alzheimer, Reihe Konsument, Verein für Konsumenteninformation, 240 Seiten, 19,60 €.