Warum sich Geduld im Leben auszahlt
Von Ute Brühl
An eine Episode in ihrer Kindheit erinnert sich Friederike Gräff noch genau: „Vor dem großen Fest konnte ich so schlecht warten, dass ich heimlich durchs Schlüsselloch des Zimmers schaute, in dem die Geschenke waren. So hatte ich entdeckt, dass ich ein Kaninchen bekommen würde.“ Obwohl Gräff damals noch sehr klein war, war ihr in dem Moment klar, wie „blöd“ das war, weil sie sich so die ganze Vorfreude genommen hatte.
Eine gute „Warterin“ ist sie dennoch nicht geworden, sagt die TAZ-Journalistin im KURIER-Gespräch. Und das, obwohl sie sich in ihrem Roman „Warten“ intensiv mit dem Thema befasst hat. Was zeigt: „Der Zustand des Wartens kann einen Geduld lehren, muss es aber nicht.“ Zudem sei Geduld eine Charaktereigenschaft, die bei uns nicht mehr sonderlich hoch im Kurs steht, auch wenn sie in der Erziehung theoretisch noch hochgehalten wird. Grund: „Wir haben eine Kultur der unmittelbaren Verfügbarkeit. Alles muss sofort geschehen. Man wird ja schon ganz zappelig, wenn man eine Mail nicht innerhalb einer Stunde beantwortet bekommt.“
Beschleunigter Alltag
Auch unser Alltag lehrt keine Geduld mehr – Lebkuchen gibt es spätestens im Oktober, weil keiner auf den Advent wartet. Dabei ebnet Geduld und die mit ihr eingehende Selbstdisziplin den Erfolg im späteren Berufs- und Privatleben, wie der berühmte Marshmallow-Test zeigt, der bereits Anfang der 70er-Jahre gemacht wurde. Dabei wurde vierjährigen Kindern eine Süßigkeit angeboten, verbunden mit dem Angebot, dass sie ein zweites Zuckerl bekämen, wenn sie einige Minuten warten. Als man die Testpersonen Jahre später nochmals unter die Lupe genommen hat, stellte man fest, dass die Kinder, die warten konnten, später eine größere Frustrationstoleranz und mehr Selbstvertrauen haben, während die Ungeduldigen als Erwachsene oft krank oder gar süchtig sind. Heute vermutet man, dass Geduld eine Eigenschaft ist, die zum Teil angeboren, zum Teil anerzogen ist.
Macher-Typen
In der Arbeitswelt gilt Geduld nicht unbedingt als Tugend: Wer zugibt, ungeduldig zu sein, der kann heutzutage sogar damit punkten. In Vorstellungsgesprächen wird sie als positive Eigenschaft bewertet, weil man eher als Macher denn als Bedenkenträger dasteht. Doch ohne Geduld kommt man in vielen Bereichen auch heute nicht zum Ziel: „In der Forschung geht ohne einen langen Atem nichts“, sagt Gräff. Aber nicht nur da: „Die Geduld der Kinder, die laufen lernen, ist enorm. Sie fallen tausend Mal hin und versuchen es noch einmal.“ Dieses Wissen, dass es Zeit und Geduld braucht, Dinge zu lernen, sei uns verloren gegangen: „Denken Sie ans Sprachenlernen: Wir haben die Vorstellung, wenn wir das richtige Programm haben, lernen wir im Schlaf. Doch ohne Geduld und Ausdauer funktioniert das nicht.“
Oma wusste es
Die Generation unserer Großeltern war da sicher noch geduldiger: „Auch weil sie es musste“, sagt Gräff. Heute leben wir hingegen in einer Kultur der eigenen Potenz. Unser Imperativ heißt: „Wir müssen alles möglich machen. Die Demut zu sagen, dass ich nichts ändern kann, ist etwas, was unsere Großeltern noch stärker hatten.“
Doch die Geduld ist eine ambivalente Sache: Die Großeltern schlüpften oft in eine fatalistische Opferrolle und sagten sich, dass sie an der Situation nichts ändern können. Anders heute: „Wenn ich sage: ,Ich muss nicht warten‘, ist das eine Art von Ermächtigung, dass ich etwas tun kann. Gleichzeitig setzt es Menschen unter Druck, aktiv zu werden.“
Arten des Wartens
Manchmal ist man dem Schicksal aber einfach ausgeliefert: „Es gibt das selbstbestimmte freiwillige Warten, das viel mit Hoffen und Vorfreude zu tun hat, und es gibt ein erzwungenes Warten, das mit Hilflosigkeit einhergeht und als Zustand nicht schönzureden ist, weil man zur Untätigkeit verdammt ist.“ In Gräffs Buch spiegelt sich das in zwei Episoden wider: Das Kind, das sich auf die Schule freut und ein Asylwerber, der zehn Jahre auf die Bewilligung seines Asylantrags gewartet hat. Für den Mann „eine tote Zeit, die ihn krank gemacht hat.“ Studien belegen das: Hilfloses Warten wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus.
Bei vielen Menschen löst bereits die Warteschlange im Supermarkt Emotionen aus, oft Aggression. „Diese Unverhältnismäßigkeit hat mich bei meinen Recherchen verblüfft: Warum fallen Menschen aus der Rolle, nur weil sie fünf Minuten warten müssen? Das ist wohl ein Ventil, es sagt aber auch viel über unser Leben aus, in dem jede Minute verplant ist. Man merkt, unter welchem selbst gemachten Erfüllungsstress wir stehen“, urteilt Gräff.
Ob allerdings Advent die richtige Zeit ist, über das Getriebensein nachzudenken, wagt sie zu bezweifeln: „Wir haben Weihnachten durch den Geschenke- und Dekowahn so zugemüllt, dass dafür jeder andere Monat besser geeignet ist.“ Würde es uns dennoch gelingen, wäre dies eine wunderbare Verheißung: „Gerade der Advent ist von der Idee her eine große Erwartung. Es war einmal eine Fastenzeit. Das ist völlig verloren gegangen. Opulent wurde es erst zu Weihnachten, selbst am Heiligen Abend gab es einfaches Essen.“
Buchtipp: Friederike Gräff: „Warten: Erkundungen eines ungeliebten Zustands“, Ch. Links Verlag, 192 Seiten,16,50 Euro