Warum Abnehmen nicht immer glücklicher macht
Von Ernst Mauritz
Fitter und gesünder – aber nicht unbedingt glücklicher: auf diese Kurzbotschaft lässt sich ein Studienergebnis zusammenfassen, das Abnehmwilligen ein wenig Sorge bereitet.
Vier Jahre lang hat ein Team um Sarah Jackson vom University College London den körperlichen und psychischen Zustand von fast 2000 übergewichtigen und fettleibigen Erwachsenen untersucht. 280 nahmen in diesem Zeitraum mehr als fünf Prozent ihres Körpergewichts ab – im Schnitt sieben Kilogramm. Ihr Gesundheitszustand hatte sich deutlich verbessert. Allerdings: Das Risiko für eine depressive Verstimmung war in dieser Gruppe um mehr als 50 Prozent höher als bei jenen, die weniger als fünf Prozent ihres Gewichts verloren hatten.
"Wir wollen niemanden vom Abnehmen abhalten", sagt Jackson, "denn es bringt enorme gesundheitliche Vorteile mit sich. Aber die Leute sollten nicht erwarten, dass sich dadurch sofort alle Lebensumstände verbessern."
Doch oft besteht gerade diese Erwartung – das hat die Psychologin Natalia Ölsböck schon oft erlebt. Sie begleitet Abnehmgruppen von stark fettleibigen Menschen, versucht sie zu motivieren und bei seelischen Tiefs aufzubauen.
"Viele Menschen wollen nach einer Trennung abnehmen, weil sie frustriert sind und glauben, wenn sie das tun, werden sie schneller einen Partner finden und mehr geliebt werden. Aber das klappt nicht." Und dann sei es kein Wunder, wenn es zu einer depressiven Verstimmung oder gar einer Depression kommt.
"Abnehmen ist nicht die Lösung für alle Probleme", so Ölsböck. "Man darf hier die Erwartungen nicht zu hoch stecken."
Seit Langem ist bekannt, dass zu rasches Abnehmen schlecht für den Körper – Stichwort Jo-Jo-Effekt – ist. "Wir wissen heute, dass es aber auch für die Seele schlecht ist", betont Ölsböck. "Sie benötigt genauso wie der Körper Zeit, in die neue Situation hineinzuwachsen."
Denn durch rasches Abnehmen verändern sich auch die Identität und die Wahrnehmung durch die Umwelt viel zu schnell: "Schlankere Menschen werden von ihrer Umgebung ganz anders registriert als Übergewichtige. Wenn das aber alles in zu kurzer Zeit passiert, ist die Psyche mit der neuen Rolle völlig überfordert."
Entscheidender Tipp
Rund 60 Prozent der übergewichtigen Menschen wollen abnehmen – für sie alle hat Ölsböck einen entscheidenden psychologischen Tipp: "Viel wichtiger als die Frage, nach welcher Methode Sie vorgehen wollen, ist zuvor die Frage nach der Motivation: Wollen Sie sportlicher, leistungsfähiger, beweglicher sein? Wollen Sie sich im Spiegel besser gefallen? Wenn ja, dann ist die Chance groß, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Aber wenn Sie es nur tun, weil es Ihre Freundin oder Ihr Freund auch tut oder weil sie jemanden anderen beeindrucken wollen – dann könnten Sie zu jenen zählen, denen es danach psychisch schlechter geht."
In ihren Abnehmgruppen fragt Ölsböck die Teilnehmer, warum sie gekommen sind. "Es gibt immer wieder welche, die antworten, ,weil mich der Arzt geschickt hat‘. Denen sage ich: ,Okay, aber hergebracht hat Sie nicht der Arzt, gekommen sind Sie selbst. Vielleicht tun Sie es ja doch ein wenig auch für sich – und nicht nur, um dem Arzt eine vermeintliche Freude machen.‘"
Dass sich die Gemütslage bei vielen Menschen, die abnehmen, verschlechtert, widerspricht übrigens Ergebnissen früheren Studien, die mit betreuten Gruppen gemacht wurden. Da hat sich die Stimmung nämlich verbessert: "In der Gruppe stützt man sich gegenseitig und kann sich vor allem auch am Abnehmerfolg der anderen mitfreuen. Aber als Einzelkämpfer ist es ziemlich hart – da kämpft man nicht nur gegen die Kalorien, sondern oft auch gegen die Psyche."