Verena Kast: "Unsere Seele braucht eine Lobby"
Von Ingrid Teufl
KURIER: Sie treten dafür ein, der Seele Zeit zu geben.
Verena Kast: Seele steht für das Lebendige in uns, abseits des Religiösen. Diesen Aspekt lasse ich weg, ich bin Psychologin. Die Seele sollte wieder eine Lobby im Diesseits bekommt. Ich halte das für eine Notwendigkeit in unserer schnelllebigen Zeit. Dazu kommt die Ökonomisierung – eine schlimme Kombination. Seele rechnet sich in diesem Jargon nicht. Sie rechnet sich erst, wenn sie nicht mehr mag, zum Beispiel in Depressionen und Burn-out. Dass man funktionieren soll und keine Zeit mehr für Emotionen oder Trauer lässt, zeigt, dass man die Seele nicht ernst nimmt.
Wie werden wir kompetent im Umgang mit unserer Seele? Was braucht es, um sich auf eine Balance von Innen- und Außenwelt einzuschwingen.
In meinem Buch versuche ich zu zeigen, was Seele ist – in allen Facetten. Ich gehe sehr auf das Resonanz-Phänomen ein. Wenn wir so unter Zeitdiktaten sind, sind wir ja auch nicht mehr in Resonanz mit der Welt, wir schwingen nicht mehr mit. Etwa in Beziehungen. Man arbeitet dann nur mehr wie in einer Sitzung ab, was man bereden muss. Davon ist man seelisch nicht genährt. Menschliche Beziehungen leben ja davon, dass auch etwas Unverhofftes aufbricht. Es gibt sehr viele, feine Schwingungen, die uns animieren. Die sind dann nicht mehr da. Wir müssen unsere Seele wieder zum Schwingen bringen.
Gibt es bei aller menschlichen Individualität so etwas wie allgemeingültige Regeln?
Ich glaube schon.Vor allem, seine Emotionen wieder wahrzunehmen. Manchmal nehmen wir ja nicht einmal Ärger richtig wahr, gehen darüber hinweg und wundern uns dann, warum die gute Laune vom Morgen plötzlich weg ist. Der Ärger ist allerdings eine recht starke Emotion, die man leichter mitkriegt. Die feinen Emotionen, die für unser Seelenheil – unsere Lebendigkeit – wichtig sind, bleiben häufiger auf der Strecke.
Was könnte denn diese feinen Emotionen anregen?
Ganz einfache Dinge. Ich sitze gerade vor einem großen Fenster, mit wunderbarem Oktoberhimmel, trotz viel Wind. Vor unserem Telefonat habe ich ihn gar nicht wahrgenommen, weil ich etwas geschrieben habe. Man kann natürlich nicht immer alles bewusst wahrnehmen. Aber wenn man hinschaut, wie es in einem wirkt, dann ist diese Verbindung, diese Resonanz zwischen Innen- und Außenwelt da.
Wie wirken diese Emotionen?
Sobald wir Emotionen empfinden, haben wir auch Vorstellungen und verbinden sie mit etwas, das wir erlebt haben oder mit einer Zukunftsvorstellung. Das sind ganz typische und menschliche Möglichkeiten. Aber wir nehmen sie einfach nicht mehr wahr.
Kann man diesen Prozess in Gang bringen?
Ja, immer wieder. Es geht um ein Sich-Einlassen, mich emotional berühren lassen. Dann kann ich mich später daran erinnern, das löst wieder etwas Positives in mir aus. Dafür reichen häufig einfache Bilder.
Darf man es sich heutzutage überhaupt leisten, der Seele Zeit zu geben?
Es ist unmodisch. Aber wir müssen es tun, denn sonst holt sich die Seele die Zeit zurück, etwa durch eine Depression. Und in einer seelenlosen Zeit will auch keiner leben.
Die Gesellschaft vermittelt uns aber, dass es auf ganz andere Werte ankommt.
Heute gilt als wertvoll, was effizient ist, was sich rechnet. Viele sind aber am Umdenken und fragen sich, was wirklich lebenswert ist. Wir verpassen ja ohnehin unendlich viel. Die Frage ist, wo ich meine Prioritäten setze.
Setzen wir diese Prioritäten aus Ihrer Sicht falsch?
Das ist mein Plädoyer: Wir sollten herausfinden, was uns, unsere Emotionen, unsere Seele wirklich nährt.Oft richtet man sich danach, was „man“ so tut. Doch das passt ja nicht für jeden.
"Es könnte ein Ziel sein, Zeit für die Seele zu haben“, sagt die Psychologin Verena Kast. In ihrem neuen Buch gibt sie auch Anregungen dazu.
Genießen
Den flüchtigen Augenblick ebenso bewusst wertschätzen wie das Dauerhafte, und dadurch Intensität spüren.
Verankern
Bei aller Dynamik des Lebens versuchen, den Draht zu sich selbst nicht verlieren.
Gleichgewicht
„Wir sollten bestrebt sein, ein Gleichgewicht im eigenen Leben zu erreichen – zwischen dem, was bleibt, und dem, was sich verändern muss“, sagt Kast.
Kleine Freuden
Die großen Gefühle, die wir eigentlich suchen, sind nicht immer zugänglich. „Wir brauchen sie auch nicht immer, kleine Gefühle tun es auch. Denn wenn wir uns freuen, sind wir mit uns und der ganzen Welt einverstanden.“ Und dann treten Innen- und Außenwelt fast automatisch in Resonanz.
Sich einlassen
„Lassen wir uns auf uns selber und auf die Welt, wie sie uns erscheint, ein, dann werden wir leicht Freude erleben“, rät Kast.
Geborgen fühlenUm sich im Leben geborgen zu fühlen, muss man Freude zulassen und erfahren. So werden jene Gefühle wach, die uns animieren.