Das langsame Sterben der Meere
Von Ute Brühl
Die Insel Henderson im Südost-Pazifik ist ein Symbol dafür, wie der Mensch mit dem Meer umgeht: Die 5000 Kilometer von Chile entfernte Insel ist eigentlich ein Naturreservat. Doch statt seltener Pflanzen und Tiere beobachten Forscher dort jetzt ein anderes Phänomen. Hier strandet weltweit so viel Plastikmüll wie nirgends auf der Welt – 37,7 Millionen Stück, wurde in einer Studie geschätzt. Die Insel befindet sich im Zentrum einer Meeresströmung, die sämtlichen Dreck, der von Schiffen geschmissen wird oder in Südamerika im Meer landet, heranwirbelt und sammelt.
Doch die Verschmutzung ist nicht das einzige Problem des Ökosystems Ozean – die Herausforderungen sind vielfältig, weshalb diese Woche erstmals eine UN-Konferenz zum Schutz der Meere stattfindet (Kasten rechts).
Meeresspiegel
Noch mehr Sorge als der Plastikmüll macht Wissenschaftlern die Klimaerwärmung, die sich massiv auf die Ozeane auswirkt, wie der Meeresbiologe Hans Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut im deutschen Bremerhaven sagt. Pörtner hat im aktuellen Weltklimabericht das Kapitel über die Ozeane verfasst und ist jetzt Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe 2 im Klimarat.
Die Folge: "Der Meeresspiegel wird steigen. Die Prognose, in welchem Ausmaß das passieren wird, muss ständig nach oben korrigiert werden. Denn: Anfangs ging man davon aus, dass nur die West-Arktis schmilzt, jetzt schwächelt auch die Ost-Arktis."Sein Kollege Gerhard Herndl von der Universität Wien beschreibt, was das bedeutet: "Ein Anstieg des Meeresspiegels von einem halben Meter hätte z.B. für Bangladesch verheerende Auswirkungen, weil große Teil des Landes dann unter Wasser wären. Zudem wurden dort die Mangrovenwälder an den Stränden zu Brennholz verarbeitet, was die Erosion der Ufergebiete beschleunigt. Gleichzeitig werden die Trinkwasservorkommen geringer." Steigt die durchschnittliche Wassertemperatur "nur" um 1 oder 1,5 Grad, so hat das auch Auswirkungen auf die Meeresbiologie: "Riffe, die die Erosion der Ufer verhindern, sterben großflächig ab. Und viele Tiere wandern in kühlere Regionen ab, sodass sich Ökosysteme durchmischen und die Biodiversität abnimmt", sagt Pörtner.
Generationenwechsel
Eine schlechte Nachricht für Fischer, die zudem immer mehr die Überfischung der Meere zu spüren bekommen, weiß Herndl: "Eigentlich wäre es volkswirtschaftlich sinnvoller, den Menschen, die von der Fischerei leben, ein staatliches Einkommen zu garantieren, wenn sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen." Dass das praktisch kaum durchsetzbar ist, weiß er: "Ich habe ein paar Jahre auf der holländischen Insel Texel gelebt, wo die Menschen seit Generationen von der See lebten. Dass die sich neue Arbeitsfelder suchen, wird wohl eine Generation dauern."
Damit nicht genug: Verschmutzung durch Industrie und Landwirtschaft, radioaktive Verseuchung oder Lärm durch die Navigation sind nur ein paar Stichwörter, die zeigen, dass der Handlungsbedarf in Sachen Meeresschutz riesig ist. Gerhard Herndl, dessen Spezialgebiet die Tiefsee ist, nennt noch eine weitere Bedrohung, die sich in naher Zukunft epidemisch ausbreiten könnte: der Abbau von seltenen Metallen wie Lithium vom Meeresboden. "Länder wie Indien, die USA oder China haben schon Prototypen gebaut, mit denen man diese Rohstoffe vom Meeresgrund gewinnen kann. Mit einer Art Mähdrescher wird der gesamte Boden abgegrast, mit fatalen Folgen für Tiere und Pflanzen. Korallen, die 1000 Jahre brauchen, um eine Größe von 50 Zentimeter zu erreichen, werden in Minuten zerstört." Ökologische Systeme, um an die seltenen Stoffe zu gelangen, seien wirtschaftlich nicht rentabel. "Das Recyceln dieser Stoffe wäre hier der beste Meeresschutz."
Was zu tun wäre
Immerhin: Weltweit gibt es ein Problembewusstsein dafür, dass die Meere bedroht sind. "Doch bei der Implementierung der Lösungswege gibt es eine große Trägheit. Doch wir können nicht so weiter machen wie bisher", sagt Pörtner. Um die Ozeane zu retten, gebe es nicht die eine Lösung, vielmehr müssten mehrere Maßnahmen gleichzeitig gesetzt werden. Gefragt sei die Politik ebenso wie die Wirtschaft und der Konsument.
An oberster Stelle steht: "Wir müssen an den Pariser Zielen des Klimaabkommens festhalten, um die Erderwärmung einzudämmen. Leider setzen auch die Industrieländer noch viel zu sehr auf fossile Energie", beklagt Pörtner. Doch auch die Entwicklungs- und Schwellenländer will er in die Pflicht nehmen, die immer noch Müll und ungeklärte Abwasser ins Meer leiten.
Bewährt hätten sich auch Schutzzonen, in denen nicht gefischt werden darf und die die Tiere als Rückzugsort nutzen können, sagt Florian Kozak vom WWF. Diese müssten ausgeweitet werden. Pörtner sieht darin auch eine Chance: "Die Fischbestände erholen sich, und die Schutzgebiete können durchaus touristisch genutzt werden."
Und was soll mit dem ganzen Müll passieren, der jetzt an den Stränden landet und im Meer schwimmt? "Da muss aufgeräumt werden, und zwar im industriellen Maßstab. Das kann zwar Jahrzehnte dauern, doch es ist die einzige Lösung." Wie das gehen könnte, hat z.B. der Niederländer Boyan Slat gezeigt (siehe links).
Gerhard Herndl hat jedenfalls einen großen Wunsch an die Politik: "Wir müssen weg von einem Wirtschaftssystem, das auf Wachstum basiert, hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die die die zur Verfügung stehenden Ressourcen nachhaltig nutzt." Begründung: "Es gibt kein biologisches System, das ewig wächst. Das gilt wohl auch für die Wirtschaft."
Wie verschmutzt die Meere sind, nahm Boyan Slat schon früh mit eigenen Augen wahr. Jahrelang verbrachte er die Sommerferien auf einer griechischen Insel, irgendwann sah der begeisterte Taucher unter Wasser vor lauter Müll keine Fische mehr.
Der Niederländer fragte sich, warum noch niemand eine Lösung für den vielen Plastikmüll im Meer gefunden hat. Und entwickelte schließlich selbst eine. Mit gerade einmal 18 Jahren präsentierte Slat seinen ambitionierten Plan bei der berühmten TED-Konferenz – vier Jahre später stach ein durch Crowdfunding finanzierter Protoyp seiner „Meereswaschmaschine“ in die niederländische Nordsee.
Dabei handelt es sich um eine am Meeresboden befestigte Plattform, von der aus kilometerlange Röhren den anschwimmenden Müll einfangen sollen. Mit seinem „Ocean Cleanup“- Projekt hat sich Boyan Slat, der mittlerweile 22 ist, hohe Ziele gesteckt: In fünf Jahren, sagt er, seien 50 Prozent des Mülls aufgeräumt. Nicht jeder ist von der Idee des Raumfahrttechnikstudenten begeistert. Experten kritisieren, dass es in die falsche Richtung geht und man sich stattdessen auf die Müllvermeidung konzentrieren sollte.
Doch Slat lässt sich nicht beirren.
Im Mai verklündete er eine Erfolgsnachricht: Statt wie geplant 2020 könne seine Müllabfuhr für den Ozean schon 2018 in Betrieb gehen. Das erste Einsatzgebiet liegt zwischen der Küste Kaliforniens und Hawaii. Dort befindet sich eine besonders große Meeres-Müllhalde – noch.
UN-Generalsekretär António Guterres hat zum Auftakt einer UN-Konferenz zum Schutz der Ozeane zu verstärkten Anstrengungen für die Meere der Welt aufgerufen. „Die Gesundheit unserer Ozeane zu verbessern, ist ein Test für unseren Multilateralismus und wir können es uns nicht erlauben, durchzufallen“, sagte Guterres am Montag (Ortszeit) in New York. 2500 Teilnehmer aus 85 Nationen wollen bei der Konferenz in New York noch bis Freitag darüber verhandeln, wie der Schutz der Meere verstärkt werden kann.