Die längste Hitzewelle dieses Jahres ist überstanden - doch sie wird kein Einzelfall bleiben, ganz im Gegenteil: "Wir müssen damit rechnen, dass solche Ereignisse in Zukunft noch häufiger werden", sagtUmweltmediziner Hans-Peter Hutter, Facharzt für Umweltmedizin amInstitut für Umwelthygiene der MedUni Wien. "Es wird künftig noch mehr Hitzewellen mit noch höheren Temperaturen in Österreich geben."
KURIER: Auf welche Situation müssen wir uns in Zukunft einstellen?
Hans-Peter Hutter: Die vergangene Hitzewelle ist ja kein Einzelereignis. Durch den Klimawandel hat die Zahl der Hitzetage, an denen die Temperatur 30 Grad Celsius übersteigt, in den letzten Jahrzehnten auch in Wien konstant zugenommen. Während es zwischen 1961 und 1990 im Schnitt 9,6 Hitzetage gab, stieg die Zahl zwischen 1981 und 2010 bereits auf 15,2 an.
Bereits 2003 wurden an 40 Tagen mehr als 30 Grad Celsius gemessen. Und schon in 30 Jahren werden wir durchschnittlich mindestens 45 Tage mit über 30 Grad haben. Der Trend ist, egal welches Berechnungsmodell man heranzieht, stark steigend. Die Hitze, unter der wir heute leiden, ist künftig an vielen Tagen die Norm.
Sie haben sich sehr mit den Auswirkungen der großen Hitzewelle in Frankreich im Sommer 2003 beschäftigt. Welche Lehren hat man daraus gezogen?
In Frankreich gab es 2003 mehr als 14.000 zusätzliche Todesfälle durch die Hitze - das hat damals viele schockiert. Es war ein nationales Trauma. Der Jubel, der in Anfangsphasen von Hitzewellen bei uns noch immer in den Medien zelebriert wird, ist dort deutlich verebbt.
Am stärksten betroffen waren sehr alte, sozial isolierte Menschen, die alleine leben, viele mit chronischen Erkrankungen. Durch die große Hitze ist die Gefahr hoch, dass sie in ihren Wohnungen mehr und mehr an Flüssigkeit verlieren, dehydrieren. Und wenn dann niemand nach ihnen schaut, bemerkt niemand, dass es ihnen von Hitzetag zu Hitzetag schlechter geht. Denn gerade diese Gruppe ist nur schwer zu erreichen. Hitze ist eben ein stiller Killer. Leider wird dies von manchen Leuten unterschätzt - vor allem, weil man sich mit der wissenschaftlichen Literatur nicht beschäftigen will.
Aber viele Gemeinden haben daraufhin Initiativen zur Stärkung der Nachbarschaftshilfe gesetzt, haben dafür ein Bewusstsein geschaffen: Wer weiß, dass in seiner Nachbarschaft ein hochbetagter Mensch lebt, soll gerade in Hitzezeiten öfter nach ihm schauen, nachfragen, nicht gleichgültig sein.
Außerdem haben Gemeinden sehr betagte Mitbürger auch gezielt aufgesucht. Diese Initiativen hatten übrigens Erfolg: Bei einer ähnlichen Hitzewelle in Frankreich im Jahr 2006 war die Zahl der Hitzetoten mit rund 4400 bereits deutlich geringer. Gut durchdachte Maßnahmen retten Leben.
Werden wir auch in Österreich mit mehr Todesfällen durch Hitzeperioden rechnen müssen?
Ja. Eine Steigerung der durchschnittlichen Temperatur um ein Grad Celsius führt zu einem Anstieg der Sterblichkeit um ein bis sechs Prozent.Wir müssen damit rechnen, dass in diesem Sommer auch in Österreich die Zahl der hitzebedingten Todesfälle zugenommen hat. Hinzu kommt, dass der Anteil der alten Menschen steigend ist. Hier kommen auch auf die Betreuungssysteme neue Herausforderungen zu.
Gibt es noch weitere Risikogruppen?
Menschen mit Migrationshintergrund zum Beispiel, die oft in sehr kleinen, sehr heißen Wohnungen leben. In ihren Kulturen fehlt auch vielfach das Wissen um die gesundheitlichen Risiken der Hitze. Mit den Auswirkungen von Hitzewellen auf diese Bevölkerungsgrupen beschäftigt sich ein Wiener Forschungsteam in dem seit 2014 vom Klima- und Energiefonds geförderten Projekt „EthniCityHeat“.
Soziologen, Mediziner, Medizinanthropologen und Landschaftsplaner erforschen dabei gemeinsam die soziale Dimension des Problems Hitze in der Stadt. Auch obdachlose Menschen zählen zu den besonderen Risikogruppen bei Hitzewellen. Auch auf sie dürfen wir nicht vergessen.
Welche Maßnahmen müssen in Zukunft gesetzt werden?
In den Städten benötigen wir mehr verkehrsberuhigte Zonen, mehr Grün- und Wasserflächen, helle Farben, begrünte Fassaden und weniger Glasflächen. Die WeltgesundheitsorganisationWHO empfiehlt die Einrichtung sogenannter "Cooling Center", öffentlicher gekühlter Räume, wo man hingehen und sich ausruhen kann. In den USA und Australien gibt es dafür schon Beispiele. Aber viele Fragen sind noch offen: Wer betreibt das? Wie kommen alte Menschen dort hin? Welche Wegstrecke ist zumutbar? Wie viele solcher Einrichtungen bräuchten wir etwa in Wien? Wie lange sind sie geöffnet?
In vielen dieser Punkte gibt es noch ganz praktischen Nachdenk- und Forschungsbedarf, wie man sie am besten konkret umsetzt. Aber eines ist klar: Menschen zu raten, bei großer Hitze gekühlte Einkaufszentren und Kinos aufzusuchen, kann nicht die einzige Lösung sein. Auch nicht das regelmäßige Verbringen von heißen Tagen in Restaurants mit Klimaanlage.
Können mobile Klimageräte eine Lösungsmöglichkeit sein?
Auf keinen Fall. Sie haben einen hohen Energieverbrauch, sind also nicht effizient, machen Lärm und heizen durch die Abwärme die Umgebung noch weiter auf. Sie tragen deshalb dazu bei, dass sich das Problem der Erderwärmung weiter verschärft. Es braucht kluge Kühltechniken, die Klimaschutzanstrengungen nicht konterkarieren. Letztlich gibt es ja bereits beispielhafte Projekte, etwa Verfahren, wo kaltes Wasser durch Schläuche geleitet wird, oder Fernkälte als Gegenteil von Fernwärme.
Werden klimatische Veränderungen in Zukunft auch zu einem häufigeren Fluchtgrund für viele Menschen werden?
Das wird allgemein prognostiziert. Uns wird das auf zwei Ebenen betreffen: Einerseits innerösterreichisch. Wenn es durch zunehmende Starkregenereignisse an bestimmten Orten häufiger zu Überschwemmungen und Murenabgängen kommt, wird man die Bevölkerung lokal absiedeln müssen, wie es bereits in Deutschland geschehen ist. Aber es wird auch international mehr sogenannte Klimafolgenflüchtlinge geben, etwa aus Küstenregionen, wo der Meeresspiegel ansteigt oder wo Dürre oder Überschwemmungen die Existenzgrundlagen vernichten. Das alles zeigt: Es gibt einen großen Bedarf für sogenannte Public-Health-Forschung, die sich ganz praktisch damit befasst, Lösungs- und Umsetzungsmöglichkeiten für alle diese Herausforderungen zu entwickeln, um damit die negativen gesundheitlichen Folgen einer Hitzewelle weitgehend zu minimieren.