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Therapiefortschritte bei vielen Krankheiten

Ob Demenzerkrankungen, Parkinson oder Schlaganfälle: Schätzungen gehen – aufgrund der steigenden Lebenserwartung – von einer deutlichen Zunahme vieler neurologischer Krankheiten aus: So soll sich die Zahl der jährlichen Schlaganfälle bis 2030 verdoppeln (von 25.000 auf 50.000), jene der Parkinsonerkrankungen bis 2030 verdreifachen und die Häufigkeit von Demenzerkrankungen bis 2050 um fast das Zweieinhalbfache ansteigen (siehe Grafik). „Die Neurologie wird deshalb in Zukunft an Bedeutung gewinnen“, sagt Univ.-Prof. Eduard Auff, Vorstand der Uni-Klinik für Neurologie der MedUni Wien (AKH Wien) und Präsident des Weltkongresses für Neurologie ab Samstag in Wien.

KURIER: Wie realistisch sind die prognostizierten Anstiege bei den neurologischen Erkrankungen tatsächlich?

Eduard Auff: Aus heutiger Sicht deuten alle Prognosen auf diese starken Zuwächse bei den Patientenzahlen hin. Trotzdem bin ich bei diesen Angaben ein wenig vorsichtig: Wir können zwar derzeit den Ausbruch etwa der Parkinsonkrankheit nicht verhindern. Auf der anderen Seite geht die Forschung aber stark in die Richtung, in Zukunft die Krankheit vielleicht schon in einer Phase zu erkennen, in der die Symptome noch nicht voll- bzw. sogar überhaupt noch nicht ausgebrochen sind. Und ich habe die Hoffnung, dass gleichzeitig Therapien entwickelt werden, die dann die Krankheit in einer ganz frühen Phase stoppen können. Aber das ist sicher keine Hoffnung für die nahe Zukunft.

Und die Hoffnung auf eine „Impfung“ gegen Alzheimer, die nach dem Auftreten erster Symptome den Krankheitsverlauf stoppt?

Wir wissen nicht, ob wir mit den Produkten, die derzeit entwickelt und in ersten Studien getestet werden, bei den richtigen Stellen und Prozessen im Gehirn ansetzen – ob wir also den tatsächlichen Mechanismen der Krankheitsentstehung auf der Spur sind oder ganz zentrale Vorgänge übersehen. Das werden erst die kommenden Jahre zeigen.

Wovon profitieren die Patienten schon jetzt?

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Früher hieß es immer über die Neurologen, sie wissen zwar, welche Bereiche im Gehirn bei den verschiedenen Erkrankungen beeinträchtigt sind, aber sie können nichts mehr dagegen unternehmen. Das trifft nicht mehr zu. Wir können heute bei vielen neurologischen Erkrankungen sehr viel tun.

Ein Beispiel?

Die Versorgung mit Stroke Units – speziellen Überwachungsstationen für akute Schlaganfallpatienten. Dort können in den ersten Stunden nach dem Schlaganfall über die Venen Medikamente verabreicht werden, die das Blutgerinnsel im Hirn auflösen. Durch rasches Eröffnen verschlossener Hirngefäße gelingt es, die Zahl der Todesfälle zu senken und bei einer steigenden Zahl von Patienten bleibende Beschwerden zu verhindern. Es wächst aber auch die Gruppe, die mit schweren Komplikationen überlebt. Deshalb können wir uns mit dem bisher Erreichten nicht zufriedengeben: Sehr große Blutgerinnsel können nur schlecht mit den derzeitigen Medikamenten beseitigt werden. Wir untersuchen jetzt andere Verfahren, mit denen derartige Blutgerinnsel mechanisch entfernt werden. Noch wissen wir aber nicht exakt , welche Patienten davon tatsächlich profitieren.

Vorbildlich ist in Österreich auch ein Netzwerk mit Spezialambulanzen für Parkinson und Bewegungsstörungen, aber auch für Multiple Sklerose sowie andere neurologische Erkrankungen.

Wo gab es noch Fortschritte?

Bei der Multiplen Sklerose haben wir heute ein breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten – es gibt nicht mehr nur Infusionen und Injektionen, sondern zunehmend auch sehr wirksame Therapien mit Tabletten. Wir lernen auch immer mehr über die genetischen und molekularbiologischen Grundlagen, die zur Entstehung neurologischer Erkrankungen führen. Dadurch kommt es, ähnlich wie in der Onkologie, zunehmend zu einer individualisierten Medizin, die auf den individuellen Krankheitsverlauf abgestimmt ist. Um diese Entwicklung auch in Österreich voranzutreiben, wäre es aber notwendig, dass es mehr finanzielle Unterstützung für neurologische Forschung an den Kliniken gibt – diese ist in anderen Ländern größer.

Wie sieht generell die Versorgung mit neurologischen Therapien in Österreich aus?

Grundsätzlich sehr gut. Aber es gibt auch Bereiche, wo die Kapazitäten nicht ausreichen. So haben wir in den Spitälern einen zusätzlichen Bedarf an „Phase-B-Betten“ für die frühe Neuro-Rehabilitation. Diese muss am Tag nach dem Schlaganfall beginnen – und zwar in den neurologischen Akutabteilungen der Spitäler. In dieser ersten Reha-Phase können die Patienten noch sehr wenig selbst zu ihrer Genesung beitragen. Da ist ein interdisziplinäres Team u. a. aus Neurologen, Internisten, Pflegefachkräften, Physio- und Ergotherapeuten gefordert. Das lässt sich nicht von der Akuttherapie trennen. Es ist nicht zielführend, in dieser frühen Phase einer schweren Erkrankung die Patienten in ein Reha-Zentrum zu schicken. Sie müssen oft noch sehr intensiv überwacht werden. Das geht nur im Spital.

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Im Rahmen des Neurologie-Weltkongresses findet am Samstag, 21. 9., im Messezentrum Wien (Messeplatz 1, 1020 Wien) auch ein Patiententag mit Vorträgen in deutscher Sprache statt:

15.00 h Eröffnung (englische Präsentation)

15.10 h Hirntumore (Wolfgang Grisold, Vorstand Neurologische Abt., Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien)

15.35 h Morbus Parkinson (Eduard Auff, Vorstand Uni-Klinik für Neurologie, Wien)

16.00 h Schlaganfall Wilfried Lang, Vorstand Neurologische Abt., Barmherzige Brüder, Wien)

16.25 hMultiple Sklerose (Fritz Leutmetzer, Leiter MS-Ambulanz, Uni-Klinik für Neurologie Wien)

16.50 h Abschluss

Nähere Infos bei Tanja Weinhart, Österr. Gesellschaft für Neurologie, eMail. weinhart@admicos.com

„Die österreichische Neurologie genießt international ein sehr hohes Ansehen – deshalb ist es gelungen, den Weltkongress für Neurologie gegen große Konkurrenz nach Wien zu bekommen“, sagt Kongresspräsident Univ.-Prof. Eduard Auff. Vom 21. bis 26. 9. werden rund 8000 bis 10.000 Neurologen am „21. World Congress of Neurology“ (WCN 2103) teilnehmen. „Voraussichtlich wird es einer der größten Neurologen-Weltkongresse sein, die es je gegeben hat.“ Der Kongress wird im Abstand von zwei Jahren immer auf einem anderen Kontinent organisiert. Bereits in den 60er-Jahren war er einmal zu Gast in Wien.

Kongressmotto ist „Neurologie im Zeitalter der Globalisierung“. Auff: „Die Verfügbarkeit von neurologischen Behandlungsmöglichkeiten ist nicht gleichmäßig über die Welt verteilt. Hier bedarf es internationaler Anstrengungen, um das verfügbare Wissen auf dem Gebiet der Neurologie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.“ www.wcn-neurology.org

Gesellschaft

Die „Österreichische Gesellschaft für Neurologie“ (ÖGN) ist die Dachorganisation der Neurologen. Auf www.oegn.at gibt es fundierte Informationen über neurologische Erkrankungen – von Demenz und Epilepsie über Migräne, Multiple Sklerose bis zu Parkinson und Schlaganfall. Gleichzeitig werden mögliche Ursachen verschiedener Symptome erklärt – etwa Bewegungsstörungen, Gefühlsstörungen, Lähmung, Kopf- oder Muskelschmerz, Schwindel, Stürze.

Fachärzte

In Österreich gibt es 516 Fachärzte für Neurologie, 432 Fachärzte für Neurologie & Psychiatrie sowie 615 Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie (bei diesen ist Psychiatrie das Hauptfach, seit ca. zehn Jahren gibt es aber keine neuen Fachärzte mit Doppelfach). 2011 gab es in Akutkranken- häusern 2869 neurologische Betten, in den Rehabilitations- zentren waren es 1169.