„Täglich ein Leben gerettet“
Von Ernst Mauritz
Die Zehen waren längst nicht mehr ausreichend durchblutet, der Patientin drohte die Amputation des Fußes. Doch US-Radiologe Charles Dotter konnte ihn – vor genau 50 Jahren – retten: Er dehnte unter Röntgendurchleuchtung als weltweit Erster ein verschlossenes Blutgefäß mit einem Katheter auf (mit einem dünnen Schlauch, der über die Arterie zur Engstelle vorgeschoben wird).
„Damit begann die unglaubliche Erfolgsgeschichte der ,interventionellen Radiologie‘“, sagte Montag Prim. Univ.-Prof. Walter Hruby (Institut für Röntgendiagnostik, Donauspital Wien) anlässlich des Jubiläums. Bald darauf entwickelte auch der Wiener Radiologe Fritz Olbert einen Katheter zur Aufdehnung von verengten Becken- und Beingefäßen.
„Radiologen interpretieren nicht nur die Bilder der Computer- oder Magnetresonanztomografie. Sie sind auch therapeutisch direkt am Patienten tätig“, sagt Univ.-Prof. Werner Jaschke, Präsident der Österreichischen Röntgengesellschaft. Mittlerweile habe sich diese interventionelle Radiologie in vielen Bereichen durchgesetzt.
„Täglich wird durch diese Methode in Österreich mindestens ein Menschenleben gerettet“, sagt Univ.-Prof. Johannes Lammer, Stv. Leiter der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin der MedUni Wien. So können in der Notfallmedizin blutende Gefäße in Magen, Darm oder Gehirn mit kleinen Spiralen verschlossen werden, die über einen Katheter von den Radiologen an den Bestimmungsort gebracht werden. Auch in der Krebstherapie werde die Methode eingesetzt. Bei den Herzgefäßen wenden sie Kardiologen an.
Katheter statt OP
Ist eine Arterie im Bauchbereich gefährlich ausgeweitet („Aussackung“), muss der Bauchraum in vielen Fällen nicht mehr vom Chirurgen geöffnet werden: Zur Überbrückung der vom Aufplatzen bedrohten Stelle führt der Radiologe per Katheter eine Kunststoffprothese in die Aorta ein. „In Österreich werden 60% der Aortenaneurysmen so behandelt, in den USA sind es bereits 80%. Offene Operationen machen dort nur mehr 20% der Eingriffe aus.“
Trotzdem müssten die Chirurgen nicht befürchten, arbeitslos zu werden, betont Lammer: „Wir können mit dieser minimalinvasiven Methode neue Patientengruppen behandeln, für die eine Operation zu riskant ist.“
Eine relativ junge Entwicklung ist der Einsatz der Kathetertechnik bei Schlaganfällen. Kann das Blutgerinnsel, das die Gehirnarterie verstopft, nicht durch Medikamente aufgelöst werden, wird zunehmend versucht, von der Leiste aus einen Katheter in diese Arterie vorzuschieben. „Mit einem Stent wird der Gefäßpfropfen (Embolus) gefangen und nach hinten aus der Arterie herausgezogen“, erklärt Lammer. In Wien wurden 2013 bereits 76 derartige Eingriffe durchgeführt, Tendenz weiter steigend.
„Die Kosten der Kathetertechnik sind im Schnitt um 50 bis 60 Prozent günstiger als die offenen chirurgischen Methoden“, sagt Hruby. „Aber vor allem sind sie für die Patienten deutlich schonender und verkürzen die Spitalsaufenthalte.“