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Komasaufen: vor allem Erwachsenen-Problem

200.000 Menschen in Österreich trinken regelmäßig exzessiv Alkohol – das heißt mindestens zweimal pro Woche sechs oder mehr Gläser. Dieser übermäßige Alkoholkonsum, auch als „Binge Drinking“ bekannt, ist aber nicht - wie oft angenommen - ein Problem jugendlicher Partygeher, sondern betrifft vor allem Erwachsene, wie eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts GfK Austria zeigt. Anlässlich des „5. Interdisziplinären Symposiums zur Suchterkrankung“ wurden 4000 Personen über 15 Jahre zu ihrem Umgang mit Alkohol befragt.

Jugendliche können zwar weniger kontrolliert mit Alkohol umgehen, trinken aber seltener als Erwachsene. So gaben nur sechs Prozent der 15- bis 18-Jährigen an, in den letzten zwölf Monaten mehrmals pro Woche Alkohol getrunken zu haben. In der Altersgruppe 54 Jahre und älter waren es hingegen mehr als ein Drittel. „Man muss unterscheiden zwischen Personen, die jeden Tag eine gewisse Alkoholmenge konsumieren und solchen, die immer wieder zu viel über den Durst trinken. Bei Letzterem wird die Kontrollfunktion deutlich überschritten, das Verlangen nach Alkohol steigt“, sagt Suchtexpertin Univ.-Prof. Gabriele Fischer vom AKH Wien.

Grenzen kennen

Neun Prozent der Befragten gaben an, mindestens zweimal pro Monat einen Schwips zu haben – hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung wären das 650.000 Menschen. Fischer: „Ein gesunder Erwachsener sollte seine Grenzen kennen. Ein Suchtkriterium ist etwa, ob ein Anlass für eine Feier mit Alkohol gegeben ist oder ob man sich einen Anlass sucht.“ Insbesondere Arbeitslose und Arbeiter seien laut aktueller Erhebung besonders gefährdet, exzessiv zu trinken.

Problematisch ist laut Fischer, ein zu lockerer Umgang mit Alkohol in Österreich. Das schlägt sich auch im internationalen Vergleich nieder: OECD-Zahlen zufolge trinken die Österreicher 12,2 Liter reinen Alkohol pro Kopf und Jahr. Damit liegen wir im EU-Vergleich auf Platz drei – nur Litauer (12,7 Liter) und Esten (12,3 Liter) trinken mehr. Der EU-Durchschnitt liegt bei 10,1 Liter. „Alkohol zu trinken ist bei uns Teil des Lifestyle. Während man in anderen Ländern zum Essen Wasser trinkt und maximal am Wein nippt, gehört für viele hierzulande Alkohol dazu“, sagt Fischer. Wenn jemand keinen Alkohol trinke, werde oft gefragt, was los sei, während das in anderen Ländern kein Thema sei.

Strategien fehlen

Der Grat zwischen Alkoholismus und „immer mal wieder“ Alkohol zu trinken ist oft schmal. Laut GfK-Studie kennt jeder Zweite Personen, die zu viel trinken. Tatsächlich sind in Österreich 350.000 Österreicher alkoholabhängig. Für Fischer sind daran Versäumnisse in der der Gesundheitspolitik mitschuld. „Wir sind in den letzten 20 Jahren in der Suchttherapie steckengeblieben. In Österreich fehlen entsprechende Strategien, insbesondere, wie Betroffene im niedergelassenen Bereich behandelt werden“, betont die Suchtexpertin. Praktische Ärzte, die meist erste Anlaufstelle für Alkoholabhängige sind, seien oft überfordert. Interventionen bei Binge Drinking gibt es hierzulande beispielsweise kaum. Ein neues Medikament, welches das Bedürfnis nach Alkohol bei dieser Gruppe reduzieren könnte, wird vom Hauptverband nicht übernommen.

Suchtplan gefordert

Die Leiterin der Drogenambulanz am AKH Wien fordert daher einen nationalen Suchtplan, der nicht nur standardisiert Daten zum Trinkverhalten erhebt, sondern vor allem Strukturen für Ärzte, Klinische Psychologen und Sozialarbeiter schafft, um Therapien anbieten zu können. Viel zu oft würden Betroffene auf Wartelisten landen statt möglichst rasch einen Therapieplatz zu bekommen. „Alkoholismus hat keine Lobby, sondern ist mit einem hohen Stigma besetzt. Die Krankheit kostet der Gesellschaft aber viel Geld, weil Betroffene oft nicht mehr erwerbsfähig sind. Dieses Geld sollte besser in die Hand genommen werden, bevor sie in die Abhängigkeit rutschen“, meint Fischer.

Das Gesundheitsministerium arbeitet derzeit an einer nationalen Suchtpräventionsstrategie, die besonderes Augenmerk auf die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen legen wird und noch vor dem Sommer vorgestellt werden soll.
Dabei wird es nicht nur um illegale, sondern um alle Substanzen gehen, die bei der Entwicklung einer Sucht eine Rolle spielen – also auch Alkohol und Tabak. Auch Verhaltenssüchte wie zum Beispiel die Spielsucht werden von der Strategie umfasst. „Sie soll ein nationaler Handlungsrahmen für die künftige Arbeit im Suchtbereich sein“, heißt es im Gesundheitsministerium.