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Wie Populisten von dem Hass auf die Eliten profitieren

Der Frust über das Establishment sitzt tief – weltweit. Den deutschen Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann wundert das wenig. Im Interview erklärt er, warum sich immer mehr Menschen von den Etablierten ab- und den Populisten zuwenden.

KURIER: Auf der ganzen Welt misstrauen die Menschen den Eliten. Worin liegen die Gründe?
Michael Hartmann: Da gibt es viele Ursachen. Eine ist die materielle Situation: Die durchschnittlichen Realeinkommen sind in den meisten Ländern kaum gewachsen, teilweise sogar gesunken. In den USA sind sie auf dem Niveau der späten 70er Jahre. Gleichzeitig sind die Spitzeneinkommen rasant gestiegen – die materielle Kluft ist enorm groß geworden. Das registrieren die Menschen. Das Versprechen, „wenn die oben mehr verdienen, verdienen die unten auch mehr“ stimmt nicht mehr.

Zweitens: In der Politik hat sich seit den 90ern das Motto durchgesetzt „Was wir vorschlagen, ist alternativlos“. Das führt dazu, dass die Leute sagen: „Wenn es keine Alternative gibt, entziehe ich mich und gehe nicht wählen bzw. wähle Protest.“ Verstärkt wird dieses Unbehagen durch große Koalitionen und politische Parteienstrukturen, an denen sich lange nichts ändert, in Österreich extrem verstärkt durch das Proporzsystem. Drittens: Die Elite rekrutiert sich weitgehend aus dem eigenen Umfeld. Wenn all diese Punkte zusammen kommen ist die Wut auf die Etablierten schließlich so groß, dass man sie auf keinen Fall wählen will. Da scheint jede Alternative besser, egal ob es Donald Trump oder Marine Le Pen ist.

Jammern die Wähler nicht auf hohem Niveau? Es ging uns doch noch nie so gut wie heute.
Das stimmt so schon nicht, aber wirklich entscheidend ist, welche Perspektiven die Menschen haben. Besonders in Großbritannien und den USA herrscht das Gefühl vor, die eigenen Kinder werden es einmal schlechter haben. Oder schauen Sie nach Südeuropa. Wenn Sie zur jüngeren Generation gehören, stellen sie fest, dass rund ein Drittel keine Arbeit hat. Und wenn, dann ist es meist ein prekärer Job. Ein wichtiger Indikator ist auch die Zahl der jungen Menschen, die noch zu Hause wohnen müssen. Das werden immer mehr.

Gibt es Untersuchungen, welchen Einfluss soziale Medien auf das Bild von den Eliten haben?
Studien habe ich nicht. Ich glaube aber, dass die Rolle überschätzt wird. Schauen Sie einmal die Geschichte des Populismus an. Jörg Haiders Aufstieg begann in den 80er Jahren, als von Neuen Medien noch nicht die Rede war. Diese können zwar so etwas verstärken. Aber wenn Menschen das Gefühl haben, dass die Medien nicht mehr das berichten, was mit ihrer Wirklichkeit zu tun hat, tauschen sie das auch am Stammtisch aus.

Was können Eliten in Politik, Medien, Justiz und Medien tun, damit die Gesellschaft nicht weiter auseinander driftet?
Sie müssten sich ernsthaft mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit beschäftigen und nicht mit so Phrasen drüber hinwegreden, wie etwa Angela Merkels „Wir schaffen das“. Das sind die typischen Politikersätze, die vielen Menschen zum Hals raus hängen. Es wäre an der Zeit, dass sich die Politik ernsthaft damit beschäftigt, warum die Menschen so unzufrieden sind. Für die Wohnungsmisere in Deutschland verantwortlich ist z.B. zu einem großen Teil das massive Zurückfahren des sozialen Wohnungsbaus. Das dauernde Gerede von der Alternativlosigkeit ist im Grunde eine Bankrotterklärung der Parteien. Der normale Betrachter hat da nicht das Gefühl: Da oben gibt es jemand, der versucht, es einmal anders zu machen. Es gibt keine wirkliche Wende – das macht Populisten stark.

Was ist das Geheimnis der Populisten?
Die versprechen: „Bei uns wird es komplett anders“ Wenn man sich die Programme anguckt, kann man da mehr als große Zweifel haben. Doch die meisten Wähler lesen keine Programme. Das Problem ist, dass die Elite, die etwas ändern könnte, nur noch im eigenen Saft schmort. Es hat sich ein „inner circle“ entwickelt, wo die Spitzen von Politik und Wirtschaft oft nur noch miteinander reden.

Welche Verantwortung tragen die Wirtschaftseliten?
Dort herrscht eine Mentalität: „Man nimmt mit, was man mitnehmen kann.“ Da gibt es zwar x Kommissionen, die ethische Verantwortung regeln sollen. Kommt es aber praktisch zum Schwur - siehe VW -, nehmen die Spitzenmanager mit, was geht. Da kommt keiner auf die Idee zu sagen: „Okay, wir haben gemeinsam Mist gebaut. In den vergangenen Jahren haben wir sehr viel verdient, heuer begnügen wir uns mit einer Viertel Million, das ist immer noch genug.“ Ein solcher Schritt wäre ein Signal an die Gesellschaft, das zeigt: „Wir haben verstanden.“ Doch alle machen weiter wie bisher.

Die Elite ist nicht lernfähig?
Sie nimmt zur Kenntnis, dass der Unmut wächst. Die Verantwortlichen mogeln sich aber durch, in der Hoffnung, der Protest vergeht wieder. Bei Haider war das ja zwischenzeitlich auch der Fall. Um etwas anders zu machen, müssten die Elite ihre eigene Vergangenheit kritisieren, z.B. die Hartz IV-Gesetze in Deutschland. Zudem müssten sie an eigene Privilegien ran, besonders in der Wirtschaft. Wenn schon Boni, dann müsste es auch Mali geben. Doch freiwillig wird das von ihnen keiner machen.

Was bedeutet der Stillstand für unsere Zukunft?
Wir werden in einen dauerhaften Krisenmodus verfallen. Die europäische Krise ist ein Musterbeispiel. Es gibt keine erstzunehmende Lösung, und irgendwann wird es richtig knallen - der Brexit war der erste Vorgeschmack. Folgendes Szenario: Wenn in Frankreich Le Pen an die Macht käme und die Spanier länger ohne Regierung blieben, hätten wir letztlich eine handlungsunfähige EU. Das wäre ein Punkt, wo man nicht einfach weiter machen könnte. Ich fürchte, bis dieser erreicht ist, wird die Neigung, so weiter zu machen, ausgesprochen groß sein. Gerade wenn man sich die deutsche Politik in der EU anschaut: Das sind mehr verbale Zugeständnisse, faktisch ändert sich da nichts. Man nutzt das Übergewicht, um die eigene Wirtschaftspolitik auch den anderen aufzudrücken.

Die Populisten sind auf dem Vormarsch. Warum entsteht in diesem Vakuum nicht eine Bewegung, die das macht, was sie fordern: Zuhören und vernünftige Konzepte entwickeln.
Ein Grund ist, dass in den jüngeren Generationen, wo sich von unten etwas entwickeln könnte, die Resignation groß ist, und das Gefühl vorherrscht, dass es keine realistische Chance auf Veränderung gibt. Gleichzeitig ist es eine Generation von Individualisten. Da ist von unten kein Druck da. Doch das kann sich unerwartet ändern, wie man in den USA sieht, wo sich gut ausgebildete Weiße zwischen 20 und 30 plötzlich stark für Bernie Sanders engagieren. In den USA wie in Südeuropa ist die Situation so untragbar, dass ein Teil der Jugend anfängt, sich politisch zu engagieren, um etwas zu ändern. In Spanien ist es die Arbeitslosigkeit, in den USA die Verschuldung für die Ausbildung, die für eine größere Zahl von Menschen zum existenziellen Problem wird.

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Michael Hartmann ist emeritierte Professor an der TU Darmststadt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Elitensoziologie sowie in der Organisationssoziologie. Der Deutsche ist überzeugter Sozialist.