Sex sells – das gilt wohl auch für Schulbücher
Von Ute Brühl
"Strecke deinem Partner nicht die Zunge in den Hals, bis er sich beinahe übergibt. Deine Zunge ist kein Schlagbohrer." In welchem Medium würden Sie solche Sätze vermuten? Vielleicht in Bravo – einst das Aufklärungsmedium schlechthin, oder auf dem Videokanal YouTube, der diese Rolle übernommen hat. In einem Deutschbuch vermutet man solche Sätze kaum.
Falsch gedacht: Die Sätze sind Teil eines Lückentextes, der in "Blattwerk Deutsch" (Traunerverlag) erschienen ist. Zielgruppe sind 14- bis 16- jährige Schüler der 1. Klassen der berufsbildenden höheren Schulen (BHS), also HTL, HAK etc.
Bei Elternvertretern und Lehrern lösen die Sätze Kopfschütteln aus, etwa bei Susanne Schmid, Vizepräsidentin des Bundeselternverbandes: "Mit Sexualerziehung in der Schule hat niemand ein Problem. Doch Buchautoren verkennen offenbar, dass der Deutschunterricht in der 1. Klasse BHS nicht der geeignete Rahmen für dieses Thema ist. Das Klassengefüge ist völlig neu, zudem sitzen da oft 36 Schüler in einer Klasse, viele davon mit Migrationshintergrund."
Was das in der Praxis heißt, erzählt ein HTL-Lehrer, der nicht namentlich genannt werden will: "Bei mir sitzen meist 80 Prozent Burschen in der Klasse. Stellen Sie sich vor, da soll einer diesen Text vorlesen. Da ist das Gelächter groß."
Besser vorbereiten
Einen solchen Text ohne entsprechende Vorbereitung zu verwenden, davor würde Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger auch abraten. "Ein Thema für die Deutschstunde ist es aber durchaus, ist die sexuelle Bildung doch ein Unterrichtsprinzip. Heißt: Darüber kann und soll in allen Fächern geredet werden." Sie wünscht sich, dass die Lehrer hier entsprechend ausgebildet und auch sensibilisiert werden. "Denn das Küssen ist bei Jugendlichen dieses Alters ein Riesenthema, auch bei Migranten. Hier sollte die Schule Räume für eine offene Diskussion bieten."
Lesen, Schreiben, Rechnen
Doch viele Pädagogen sehen sich überfordert: "Die Mehrzahl unserer Schüler erreichen in den Diagnose-Checks, die das Bildungsministerium herausgibt, nicht einmal die Mindestanforderungen in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik, in manchen Klassen sind es mehr als 90 Prozent. Wir haben genug damit zu tun, den Schülern Grundlegendes beizubringen. "
Beim Bildungsministerium hofft man wohl, dass Schüler bei solchen Texten mehr Spaß am Lernen haben: "Gerade Arbeitsaufgaben zur Grammatik und Rechtschreibung sind nicht immer leicht zu bewältigen. Mit der Auswahl dieses Medienbeitrages aus www.br-online.de wurde von Seiten des Verlags versucht, ein Thema zu wählen, das diese Altersgruppe anspricht und gleichzeitig motiviert, bei der Textarbeit zu bleiben."