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Sepsis: Viele vermeidbare Todesfälle

Eine Sepsis – die Reaktion des menschlichen Organismus auf das Eindringen von Bakterien, Viren oder Pilzen – wird oft viel zu spät erkannt: Rund 5000 bis 10.000 Todesfälle könnten in Deutschland jedes Jahr durch einen früheren Behandlungsbeginn verhindert werden, sagt Konrad Reinhart, Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Uni-Klinikum Jena im Spiegel. Nur ein Drittel der Patienten an 40 deutschen Krankenhäusern erhält laut einer Studie innerhalb der ersten Stunde nach Auftreten der Symptome die lebensrettende Antibiotika-Therapie.

Experten gehen davon aus, dass auch in Österreich viele Sepsis-Todesfälle verhindert werden und Aufenthalte auf Intensivstationen verkürzt werden könnten.

"Jede Stunde Zeitverzögerung bis zum Beginn der Antibiotika-Therapie erhöht die Sterberate um etwa acht Prozent", sagt Univ.-Prof. Philipp Metnitz, Leitender Oberarzt der Abteilung für Klinische Anästhesie und Intensivmedizin, AKH Wien / MUW (MedUni) Wien.

In Österreich gibt es jährlich etwa 18.000 Sepsis-Patienten, etwa die Hälfte davon mit schwerem Verlauf. Mit rund 6000 bis 7500 Todesfällen jährlich ist Sepsis die dritthäufigste Todesursache in Österreich (nach Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen) . Die Bezeichnung "Blutvergiftung" gibt die Vorgänge (siehe Grafik) nur unzureichend wieder.

Unterschätzt

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"Eine Sepsis ist schwierig zu diagnostizieren", sagt Metnitz. Denn die Frühsymptome  sind sehr unspezifisch und werden daher häufig unterschätzt. Der immer wieder genannte "rote Strich" tritt in den meisten Fällen überhaupt nicht auf: "Er deutet lediglich auf eine Entzündung der Lymphgefäße hin, die zu einer Sepsis führen kann, aber nicht muss."

Dass viele Sepsis-Fälle erst sehr spät erkannt werden, dürfe aber nicht zu Schuldzuweisungen führen: "Wichtiger ist es, Bewusstsein zu wecken: Bei der Bevölkerung dafür, rasch zum Arzt zu gehen; und bei den Ärzten dafür, bei den genannten Symptomen immer auch an diese oft tödlich verlaufende Erkrankung zu denken." Rund zwei Drittel aller Erkrankungen entstehen im Spital.

Sepsis-Spezialist Reinhard fordert, alle Rettungsautos mit Blutkulturröhrchen und Breitbandantibiotika auszustatten. "Man muss zuerst Blut abnehmen und darf erst nachher Antibiotika geben, um das Ergebnis der Blutkultur nicht zu verfälschen", sagt Metnitz. Bei Verdacht auf Sepsis zwecks Zeitgewinn bereits im Rettungsauto Antibiotika zu verabreichen sei "eine Überlegung wert" – aber erst nach einer breiten Diskussion im Rettungswesen: "Es wären auch Schulungen notwendig, damit man die richtigen Patienten entdeckt."

Jede Maßnahme, die zu einer früheren Behandlung führt, rette nicht nur Leben, sondern spare auch Geld: "Denn ein Patient im Spätstadium ist im Schnitt 30 Tage im Spital."