Seltene Anämie: Forscher starten Hilfsprojekt
Von Ernst Mauritz
Zuerst sah es nach einem Stillproblem aus. "Luis konnte nicht gut von der Brust trinken und wurde immer schwächer, unser Kinderarzt riet zum Zufüttern", erzählt Boris Marte, der Vater des heute sieben Jahre alten Buben. "Zur Sicherheit wollte er aber auch eine Herzuntersuchung und ein Blutbild."
Die am gleichen Tag (einem Donnerstag) durchgeführte Herzuntersuchung zeigte keine Auffälligkeit. Am Montag darauf erfolgte im Wiener Wilhelminenspital die Blutkontrolle. "Dort hat man einen lebensbedrohlich niedrigen Hämoglobinwert festgestellt und uns sofort zurückgeholt", erinnert sich Marianne Marte. "Das Blut für Luis´erste Transfusion kam dann mit Blaulicht. Der Wachsamkeit unseres Kinderarztes verdanken wir, dass Luis noch am Leben ist."
Einige Wochen danach stand die Diagnose durch die Spezialisten im St-Anna-Kinderspital in Wien fest: Diamond-Blackfan-Anämie (DBA): Eine Blutarmut, bei der im Knochenmark die Bildung roter Blutzellen beeinträchtigt ist. Ein Auslöser sind bestimmte genetische Mutationen – aber nicht nur.
Alarmglocken geläutet
Zuerst dachte die Familie, es handle sich bei Luis‘ Erkrankung um eine spontane – zufällig aufgetretene – Mutation. "Als dann ein Jahr später unserer Tochter Josefine mit derselben Mutation auf die Welt kam, haben bei uns alle Alarmglocken geläutet." Genetische Untersuchungen der engsten Familienmitglieder brachten ein überraschendes Ergebnis: Auch Boris Marte und seine Mutter hatten diese Gen-Mutation – konnten aber trotzdem rote Blutkörperchen produzieren. "Es muss also neben der genetischen Veränderung noch andere Ursachen geben, warum es zur Blutbildung kommt oder nicht."
Sehen Sie hier ein Video über das Projekt:
Luis und Josefine erhalten alle drei Wochen eine Bluttransfusion. "Das bedeutet, alle drei Wochen mindestens zwei Mal stechen." Einmal für die Kreuzprobe (dabei wird die Verträglichkeit von Empfänger- und Spenderblut getestet), am Tag darauf für die Transfusion, die fünf bis sechs Stunden dauert. Nicht immer funktioniert das Stechen beim ersten Versuch. Täglich müssen die Kinder Medikamente gegen die transfusionsbedingte übermäßige Eisenzufuhr einnehmen, um Organschäden durch Eisenüberladung zu vermeiden. "Diese Präparate können erhebliche, auch langfristige Nebenwirkungen haben."
Marte schrieb eine eMail an Spitzenforscher Josef Penninger, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften: "Er erkannte sofort: Könnte man entschlüsseln, warum trotz genetischer Mutation bei dem einen die Krankheit ausbricht und bei dem anderen nicht, würde das die Forschung auf dem Gebiet meilenweit nach vorne katapultieren – und vielleicht Hoffnung auf eine Therapie eröffnen."
Marianne und Boris Marte starteten mit dem IMBA ein einzigartiges Projekt: "Wir haben uns verpflichtet, in drei Jahren 650.000 Euro an Spenden aufzutreiben – um das Personal für diese Forschung zu finanzieren. Das IMBA stellt die Infrastruktur zur Verfügung und unterstützt das Projekt auf allen Ebenen. Aber die öffentlichen Mittel für derartige Grundlagenforschung sind viel zu niedrig." Das Ehepaar Marte kennt mehrere Fälle, wo derartiges Engagement von Eltern zu neuen Therapien geführt hat: "Unseren – und vielen anderen – Kindern kann nur ein Durchbruch in der Forschung helfen."
Mehr Infos über das Projekt:
So können Sie das Projekt unterstützen
Spendenkonto
Spenden an die gemeinnützige „Stiftung Philantrophie Österreich“ Capital Bank – GRAWE Gruppe AG (steuerlich absetzbar).
IBAN: AT45 1960 00001505 9413 BIC: RSBUAT2K.
Verwendungszweck: Diamond-Blackfan-Anämie
Die Diamond-Blackfan-Anämie ist extrem selten: „Ich überblicke in unserer Ambulanz neun Patienten“, sagt Oberarzt Leo Kager, Leiter der Ambulanz für Hämatoonkologie im St.-Anna-Kinderspital in Wien. „Es gibt viele verschiedene Formen dieses angeborenen Knochenmarkversagensyndroms.“ Manche Kinder sind ausschließlich von der Anämie (also der beeinträchtigten Bildung roter Blutkörperchen) betroffen, bei anderen gibt es auch andere Symptome – etwa Herz- oder Skelettanomalien. „Man versteht nicht, wie das unter einen Hut zu bringen ist.“ Und manche Patienten benötigen nach einiger Zeit keine Transfusionen mehr. „Es geht darum herauszufinden: welche modifizierenden Faktoren entscheiden bei derselben Gen-Mutation darüber, dass der eine gesund bleibt und der andere nicht.“
Was im Labor passiert
Genau das versucht Stammzellspezialist Chukwuma Agu, Leiter der IMBA-Stammzellforschung, herauszufinden. „Wir haben Blutproben von acht Familienmitgliedern. In unserem Labor reprogrammieren wir weiße Blutzellen zu ,induzierten pluripotenten Stammzellen‘“ – Vorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Zelltypen entwickeln können. „Und diese Stammzellen differenzieren (entwickeln, Anm.) wir anschließend zu roten Blutkörperchen.“ Biochemische Untersuchungen dieser Prozesse sollen helfen herauszufinden, was schützende Faktoren sein könnten: „Ein Supergen, das den Krankheitsausbruch verhindert? Antikörper? Noch wissen wir es nicht. Aber wir tun alles, um etwas zu entdecken.“