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Wertschätzung am Krankenbett

Da soll ein Festessen zubereitet werden und die Hausfrau rutscht mit dem Messer ab. Die Folge: eine tiefe Schnittwunde an der Hand, die im Spital genäht werden musste. Kein Problem, sollte man meinen. Wenn die betroffene Frau nicht eine gläubige Jüdin wäre. Und das Unglück nicht am späten Freitagnachmittag passiert wäre. Von Freitag- bis Samstagabend herrscht Sabbatruhe – und da dürfen aktiv keine Arbeiten verrichtet werden.

„Dazu zählt auch, nach Sonnenuntergang nochmal mit dem Impfpass, den sie in der Aufregung nicht eingepackt hat, ins Spital zu kommen. Den benötigen wir aber, um die letzte Impfung zu überprüfen“, sagt die Augenärztin Clara Ferdinaro, selbst praktizierende Jüdin.

Für die Patientin war es Glück, dass Ferdinaro an diesem Freitag Dienst im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien hatte. Sie verstand die Sorgen der Frau: „Ich habe ihr angeboten, den Impfpass erst bei meinem nächsten Dienst in einigen Tagen vorbeizubringen.“ Der Sabbat war gerettet.

Spitalsalltag und Religion – das ist eine Gratwanderung, die nicht immer einfach zu bewältigen ist: Religiöse Vorgaben von Juden oder Muslimen sind für Außenstehende oft schwer zu verstehen. Dazu kommen Angst und Unsicherheit. Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien-Leopoldstadt – einem katholischen Ordensspital – stellt man sich dieser Herausforderung. „Wichtig sind gegenseitige Achtung, Toleranz und Wertschätzung“, sagt Gesamtleiter Reinhard Pichler. Unter den 800 Mitarbeitern sind 14 verschiedene Religionsgemeinschaften vertreten. „Die anderen Religionen zu akzeptieren ist sehr wichtig“, sagt Necmiye Öztürk, gläubige Muslimin und Pflegeleiterin auf der Internen Abteilung. „Nur so geht ein Miteinander. Wenn man die anderen wertschätzt, wird man auch akzeptiert.“

Man sehe sich mit diesen Grundsätzen ganz in der Tradition von Ordensgründer Johannes von Gott, betont Pichler. „Er hat sich bereits 1540 für die Aussöhnung von Christen und Mauren eingesetzt.“ Im Spital von heute leben diese Werte so weiter: „Wir sehen und behandeln die Patienten ganzheitlich.“

Religion leben

Gerade für Kranke, besonders Schwerkranke, habe der Glaube eine große Bedeutung. „Wir sind bemüht, die Religionsausübung im Spital zu ermöglichen.“ Dazu gehört etwa, dass Muslime in Richtung Mekka beten können. Für Juden wird auf Wunsch koschere Kost geliefert. Ebenso respektieren die Mitarbeiter, dass Krankenbesuche in Judentum und Islam als gute Tat gelten. Ferdinaro: „Religiöse Juden und Muslime haben eigentlich Dauerbesuch.“ Natürlich gebe es auch Grenzen: „Die ganze Familie in der Notaufnahme geht nicht.“

Das Haus steht ebenso für Nichtreligiöse offen. Pichler: „Wir sind ein Spital für alle. Viele glauben ja, nur gläubige Christen oder Getaufte werden aufgenommen.“ Einige Regeln sind jedoch unumstößlich. So hängt in jedem Krankenzimmer ein Kreuz. Pichler: „Wenn sich jemand davon gestört fühlt, versuchen wir aber, zum Beispiel die Blickrichtung des Patienten zu ändern.“

Das Wissen um diese interkonfessionelle Toleranz und Akzeptanz führte nicht nur viele Mitarbeiter wie Necmiye Öztürk und Clara Ferdinaro ins Haus. Die Patienten schätzen es, Ansprechpartner zu haben, die ihre Bedürfnisse verstehen. Öztürk etwa hört dies immer wieder von Patienten, die sich als Muslim „ganzheitlich und wie ein Mensch“ behandelt fühlten. Und das, betont sie, „ist das Schönste, was man zurückbekommen kann“.

Religionen-Leitfaden

Was ist wann wichtig? Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien wurde ein Leitfaden für die Mitarbeiter erstellt. Damit soll ein besseres gegenseitiges Verstehen gewährleistet werden. Für Muslime ist es etwa wichtig, dass die Pflege von gleichgeschlechtlichen Personen übernommen wird. Orthodoxe Juden können zwar generell von andersgeschlechtlichen Personen betreut werden. Körperliche Berührungen (etwa beim Händeschütteln) sollen aber vermieden werden.