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Mit Kindern über Krieg philosophieren

Man ist kein Held, wenn man andere tötet oder fürs Vaterland stirbt. Man ist ein Held, wenn man den Frieden bewahrt. Dieser Satz eines Elfjährigen ist einer von vielen, von denen Daniela Camhy begeistert ist. Gefallen ist er in einer Schulstunde, in der sie mit Kindern diskutiert, redet und Fragen formuliert. Camhy ist Leiterin des Instituts für Kinderphilosophie in Graz, das erste seiner Art in Europa.

Wie Kinder und Jugendliche auf das Thema Gewalt reagieren, hat sie im Sommer 2015 erlebt, als ein Amokfahrer in der Grazer Innenstadt in eine Fußgängerzone gerast war und drei Menschen getötet hatte. "Die Schüler einer 1. Klasse AHS wollten damals nicht sofort reden. Es hat ein bis zwei Wochen gedauert, bis sie Fragen gestellt haben", erinnert sie sich. Auch das Thema Krieg und Terror wollten die Schüler besprochen wissen.

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Camhy sieht es nicht als ihre Aufgabe an, Antworten zu geben oder gar zu moralisieren. Im Gegenteil. Sie will die Kinder dazu ermutigen, selbst Fragen zu formulieren und fordert Kinder zu Gedankenexperimenten auf. Ein Schüler hat sich zum Beispiel vorgestellt: "Was wäre, wenn niemand mehr Waffen produzieren würde." Und ein Mädchen wollte der Frage nachgehen: "Wie ist es möglich, dass Menschen Dinge und Mitmenschen zerstören wollen?"

Risiko bewerten

Besonders wichtig ist es für die Philosophin, dass es bei den Fragen kein Tabu gibt. Jeder darf alles fragen und sagen. Und jedem wird zugehört. "Der respektvolle Umgang miteinander stärkt die jungen Menschen." Diese Stärke hilft auch, wenn es darum geht, schreckliche Nachrichten zu verarbeiten – z.B. die Amokfahrt in Graz oder wie der Terrorangriff in Berlin. "In unserem Gespräch wurde den Kindern klar, dass es das Ziel der Terroristen ist, Furcht zu verbreiten. Und dass diese Extremisten gewonnen haben, wenn sich alle fürchten."

Gegen die Angst helfen manchmal auch Fakten. Klar gab es jetzt Tote: "Doch wenn man bedenkt, wie viele Menschen jährlich im Straßenverkehr sterben, wird einem bewusst, wie unwahrscheinlich es ist, bei so einem Angriff zu Schaden zu kommen." Überhaupt ist es Camhy wichtig, dass junge Menschen lernen, sich Zahlen und Fakten anzuschauen: "Wir vergleichen Quellen und Zeitungsberichte."

Dialog statt Debatte

In den Philosophiestunden gibt es keine herkömmliche Diskussion, in der einer versucht den anderen mit besseren Argumenten zu übertrumpfen. Ziel ist es vielmehr, den Gedanken des anderen weiterzuspinnen oder gemeinsam Widersprüche aufzudecken. "So entsteht Empathie- und Dialogfähigkeit. Diese sind wichtig für demokratische Persönlichkeiten", ist sie überzeugt.

Der kritische Staatsbürger ist das Ziel. Für die Kinder war das Reden über Angst und Terror aber auch im Moment hilfreich. "Sie haben erlebt, dass sich mit ihren Fragen nicht alleine sind, sondern dass sie eine Gemeinschaft sind." Und viele haben sich Gedanken darüber gemacht, wo Gewalt beginnt, und wo auch sie im Alltag sich nicht richtig verhalten.

Bilder von Krieg und Terror können sich in Kinderköpfe einbrennen. Die Leiterin der Pädiatrischen Psychosomatik an der MedUni Wien, Claudia Klier, hält es deshalb für problematisch, wenn Volksschüler oder kleinere Kinder Nachrichten schauen: „Am besten ist es, wenn man sie davor bewahrt.“
Das lässt sich in Zeiten von Smartphone und Internet allerdings oft nicht vermeiden. Außerdem bekommen Kinder immer mit, was um sie herum passiert – und wenn sie es nicht verstehen, so spüren sie, dass etwas nicht stimmt. „Je jünger die Kinder sind, desto mehr orientieren sie sich sich an den Emotionen der Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass die Erwachsenen in sich hineinhören und ihre eigenen Ängste reflektieren“, sagt Klier.

Fragen stellen

Ganz wichtig ist, dass Eltern im Gespräch mit ihren Kindern bleiben und es fragen, wie es ihm geht, welche Gefühle es hat und welche Nachrichten es gehört hat. „Wenn das Kind fragt, ob man jetzt noch auf den Weihnachtsmarkt gehen kann, oder wenn es Angst hat, in die Schule zu gehen, weil dort etwas passieren könnte, sind die Eltern in der Pflicht. Sie müssen dem Kind vermitteln, dass sie alles tun, um den Sohn un die Tochter zu schützen. Und sagen, dass viele Menschen, z.B. Polizisten, alles tun, damit nichts passiert“, meint Claudia Klier.
Die gute Nachricht: Die meisten Kinder können mit Meldungen über Terror und Krieg gut umgehen, wenn man mit ihnen darüber spricht. Anders ist das bei Buben und Mädchen aus Kriegsgebieten, die traumatisiert sind. „Bei denen kann eine Retraumatisierung stattfinden.“ Professionelle Hilfe sollte man sich immer dann holen, wenn man merkt, dass Kinder über längere Zeit verstört bzw. aggressiv sind oder sie Alpträume haben.