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Prellungen und Herzrasen? Das verursacht Nostalgie wirklich

Es braucht nicht viel. Der Geruch von warmen Sommergräsern und Sonnencreme. Der erste Bissen vom gedeckten Apfelkuchen. Ein paar Takte von Gianna Nanninis "Bello e impossibile". Und schon ist es  da. Das Bild vom Ferientag, als es Kuchen zum Frühstück gab und der Sommer kein Ende nahm.

Es braucht nie viel, um nostalgisch zu werden, aber in einer Zeit der Krisen und Konflikte lockt die Erinnerung noch einmal bittersüßer. Doch kann die Nostalgie vielleicht mehr als Erinnerungen heraufbeschwören? 

In ihrem neuen Buch „Nostalgia“ (Picador Verlag) behandelt die britische Historikerin Agnes Arnold-Foster auch die dunkle Vergangenheit der Nostalgie. Denn einst war sie tödlich. 

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Vor allem für Schweizer Söldner im 17. Jahrhundert. So immens war ihre Sehnsucht, in die idyllischen Alpen zurückzukehren, dass allein die Klänge des Schweizer Milchlieds „Kühe-Reyen“ fatale Folgen hatten. Und so wurden jene in der Armee, die es anstimmten, mit dem Tode bestraft. 

Der Schweizer Arzt Johannes Hofer gab der akuten Sehnsucht 1688 als erster einen Namen. Aus dem griechischen Word nostos für Heimkehr und algos für Schmerz, machte er: Nostalgie. 

Fieber vor dem Hausverlust

Zwei Jahrhunderte später war laut Historikerin Arnold-Foster die Nostalgie eine der meist studierten Erkrankungen: Sie war eine „mysteriöse Krankheit, die Lethargie, Depression und Schlafstörung" aber auch „Herzklopfen, Prellungen und Demenz“ erzeugte. 1830 wurde ein Mann in Paris, dessen Haus abgerissen werden sollte, nicht nur von tiefer Traurigkeit sondern auch von rasendem Fieber befallen.

Doch während Nostalgie einst vor allem auf einen fernen Ort bezogen war, verbinden wir das Wort heute mit einer entfernten Zeit. 

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Und: „Es ist heute klar, dass es sich bei Nostalgie um keine Krankheit handelt“, sagt Psychotherapeutin Ines Gstrein vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie, „sondern um ein natürlich psychologisches Phänomen.“ 

Erinnern stiftet Identität

Das Erinnern – mitunter ausgelöst durch einen sensorischen Trigger – ist ein natürlicher Mechanismus. „Wir sind ja die Summe unseres Geworden-Seins. Das heißt, jeder Moment, den wir erlebt haben, macht uns zu der Person, die wir sind. Und alle weiteren Erfahrungen verändern uns weiter.“ Sich zu erinnern, stiftet also Identität sowie Sinn und gibt Kontinuität. Und dabei kommt die Nostalgie ins Spiel. 

Im Rückblick, ergänzt die Wiener Psychologin Christina Beran, sind die meisten unserer Erinnerungen geschönt. „Wir zeichnen sie nicht 1:1 auf wie ein Computer, sondern erleben das Vergangene ein wenig gefärbt.“ 

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Warum das so ist? „Mitunter ist das wohl auch ein Selbstschutz der Menschheit. Wenn sich etwa jede Frau für immer im Detail an die Schmerzen einer Geburt erinnern würde, dann wäre die Menschheit vielleicht schon ausgestorben.“ 

Die leicht rosarote Brille beim Blick in die Vergangenheit kann uns – anders als es Ärzte im 19. Jahrhundert vermuteten – aber sogar in der Gegenwart helfen. 

Vorankommen durch Nostalgie

„Wenn man im aktuellen Leben vor einer Herausforderung steht“, sagt Pschotherapeutin Gstrein auch, „zum Beispiel, eine Doktorarbeit zu schreiben, und in Anlaufschwierigkeiten steckt. Dann erinnert man sich assoziativ an die Diplomarbeit. Und auf einmal kommen Erinnerungen; da ist der Geschmack aus dieser Zeit. Man weiß, dass man das damals geschafft hat. Diese Erinnerungen können bei Bewusstwerdung motivierend wirken, den Selbstwert steigern und ins Tun führen.“ 

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Zu diesem Ergebnis kam auch eine Untersuchung der Universität von Southampton, erläutert Beran. In einer Studie baten Forscher die Teilnehmer, über ein nostalgisches Ereignis zu schreiben. Die Anzahl der optimistischen Wörter in der Erzählung wurde mit einer Kontrollgruppe verglichen. Wer über Nostalgie schrieb, war dabei deutlich optimistischer. In einer anderen Studie wurde Teilnehmern ein nostalgischer Liedtext vorgelegt. Anschließend wurden sie gebeten, Fragen zu ihren Gefühlen zu beantworten. Wer Nostalgisches gelesen hatte, fühlte sich auch besser. 

„Wichtig ist nur“, mahnt Gstrein, „dass man nicht in der Vergangenheit hängen bleibt, keine Realitätsflucht begeht.“ Man sollte also nie ganz aus den Augen lassen: Früher war auch nicht alles immer nur gut.