Pflanzen und Tiere: Leben für das eine Mal
Von Hedwig Derka
Die Zwillinge sind genetisch Australierinnen. Wann es ihre Vorfahren nach Wien verschlug, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vermutlich kamen sie mit einer Expedition um 1900 ins Land. Doch im Zweiten Weltkrieg erfroren nicht nur viele Pflanzen in den beschädigten Glashäusern, es wurden auch Dokumente und Herkunftsnachweise vernichtet. Fix ist, dass die beiden Knollengewächse Nachwuchs jener Doryanthes palmeri sind, die 2003 im Botanischen Garten der Uni Wien zur Blüte kam.
Jetzt ist es wieder so weit: Die etwa drei Meter hohen Speerblumen öffnen gerade ihre knallroten Einzelblüten, bis zu 100 an der Zahl – die eine im Großen Palmenhaus Schönbrunn, die andere im Eingang zum Kalthaus des Botanischen Gartens. Das einmalige Spektakel, das sich bereits im Herbst des Vorjahres ankündigte, ist der Anfang vom Ende der Pflanze.
Doryanthes ist bei Weitem nicht die einzige Lebensform, die mit der Fortpflanzung ihren Tod besiegelt.
Die Speerblume und ihre Kindeln
„Bei der Australischen Speerblume kann die Blütenbildung bis zu zwanzig Jahre dauern. Nach der Blüte bildet sie sogenannte Kindeln aus“, erklärt Günter Wimmer von den Österreichischen Bundesgärten Schönbrunn. Die robusten Jungpflanzen sind jetzt schon 50 bis 60 cm groß und werden bis zum endgültigen Absterben ihrer Klon-Mutter in ein paar Monaten weiterwachsen. Die Vermehrung durch genetisch idente Kindeln gilt als relativ sicher, die Überlebenschance als hoch.
Auch manche Bananen- und Agaven-Arten setzen auf die zähe Strategie: Alle Kraft für das eine Mal. Bei der Talipot-Palme kann das Energiebündeln bis zu 30 Jahre dauern, bei der Riesenbromelie bis zu 70 Jahre. Anderes Extrem sind Gewächse mit maximal einjährigem Lebenszyklus bei jähem Ende. „Pflanzen besetzen ökologische Nischen. Alles, was geht, machen sie“, sagt Frank Schumacher, Technischer Leiter des Botanischen Garten der Uni Wien. Die Speerblumen in der Wildnis Australiens warten jahrelang auf einen Buschbrand, um dann wie Phönix aus der Asche synchron zu erblühen – und für immer einzugehen.
Die Tiere und der Tod
„Die Frage nach dem ,Warum‘ ist in der Evolution quasi verboten. Man kann nur hypothetisch überlegen“, sagt Univ.-Prof. Andreas Wanninger vom Department für Integrative Zoologie. Auch im Tierreich liegen Sex und Tod oft nahe beisammen; die Lebenserwartung insgesamt ist jedoch weit geringer als bei den Pflanzen-Extremen: „Es sind gar nicht so wenige Arten, die sich nur einmal im Leben paaren; unter den Säugetieren ist es aber eher die Ausnahme.“
Bei einigen Kraken zum Beispiel bezahlen Weibchen die Fortpflanzung mit dem Leben. Nachdem sie sich den abgetrennten Begattungsarm des Männchens einverleibt haben, ziehen sie sich in eine Felsspalte zurück, legen Unmengen an befruchteten Eiern ab und fächeln dann dem Gelege ständig Frischwasser zu; eine Arbeit von Monaten, die letal erschöpft. Das tierische Prinzip heißt: Je mehr Nachkommen es gibt, desto seltener muss es zur Sache gehen.
Einmal kann reichen
„Wenn es einmal effizient ist, reicht das“, sagt Wanninger. Auch bei Fischen, Insekten und Wirbeltieren kann der Fortpflanzungstrieb Höhepunkt sein. Lachse etwa fressen sich im Salzwasser über Jahre Fett an, schwimmen dann kilometerweit im Süßwasser gegen den Strom und laichen kurz vor ihrem Tod ab. Brutpflege ist kein Thema. Die Gottesanbeterin vernascht schon während des letzten Aktes den Samenspender und verschafft sich dabei eine Proteinbombe. Männliche Breitfuß-Beutelmäuse paaren sich bis zu 14 Stunden lang mit vielen Weibchen. Sie laugen dabei ihren Körper derart aus, dass sie der Sex umbringt.
Prinzipiell gilt auch in der Fauna, was die Speerblume in der Flora so eindrucksvoll vorzeigt. „Alles, was jetzt da ist, hat sich über Jahrmillionen Evolution durchgesetzt“, sagt Prof. Wanninger: „Das heißt aber nicht, dass es in ein paar Millionen Jahren nicht anders sein kann.“