Nuno Maulide: "Ohne Chemie gibt es keinen Umweltschutz"
Wenn Nuno Maulide seinen Studenten die Welt des Schwefels näherbringen will, erzählt er erst einmal über seine Locken und was diese mit dem chemischen Element zu tun haben. „Auf diese Weise gewinne ich ihre Aufmerksamkeit und kann richtig loslegen“, berichtet der Professor für Organische Chemie an der Uni Wien.
Darum kräuseln sich die Haare
Seinen Studenten erläutert er das mit den Locken so: „In unseren Haaren sind viele Proteine, und diese bestehen aus Aminosäuren – eine davon heißt Cystein, welche am Ende eine Schwefel-Wasserstoff-Verbindung (abgekürzt S-H) aufweist. Wenn zwei Cysteine nahe genug beieinander sind, besteht die Möglichkeit, dass sich der Wasserstoff aus der Verbindung löst und die beiden Schwefelatome eine neue Verbindung miteinander eingehen. Dann kräuseln sich die Haare.“
Maulide will, dass die Menschen die Welt verstehen
Der 39-jährige Portugiese versteht es also gut, seine Wissenschaft Laien und Forschern bildhaft näher zu bringen. Das ist ein Grund, warum er zum Wissenschafter des Jahres 2018 gekürt wurde. Maulide bereitet es offensichtlich Freude, wenn er abstrakte Konzepte so vermitteln kann, dass Menschen zum Denken angeregt werden. Immer wenn jemand sagt: „Aha, so ist das also“, hat er sein Ziel erreicht. Denn: Zusammenhänge und die Welt zu verstehen sei viel wichtiger als die oft gestellte Frage zu beantworten: „Wozu braucht man diese Forschung?“
Das Erklären fällt ihm vielleicht deshalb so leicht, weil er nicht nur in der Chemie und der Welt der Formeln zu Hause ist, sondern auch in der Musik. Maulide ist nämlich auch ausgebildeter Pianist. Und manchmal vereint er beide Leidenschaften – dann gibt er Konzerte und erklärt dem Publikum zwischendurch mit Hilfe von Powerpoint-Präsentationen chemische Grundsätze.
Nur so gut wie das letzte Konzert
In beiden Bereichen gelte: „Man ist immer nur so gut, wie bei seinem letzten Konzert oder seiner jüngsten Veröffentlichung. Wenn ich jahrelang auf höchstem Niveau spiele und dann ein paar Konzerte nicht mehr so gut bin, werde ich bald nicht mehr auf der Bühne stehen. Und wenn ich jahrelang gefeierter Wissenschaftler war und plötzlich nichts mehr Kluges veröffentliche, dann bin ich auch nicht mehr gefragt.“
Das sei aber nicht die einzige Gemeinsamkeit: „Besonders die organische Chemie und Musik sind universelle Formeln, die jeder verstehen kann, egal welche Sprache er spricht. Beide bestehen aus wenigen Zeichen, die zur Kunst werden können.“
Ja. Auch chemische Strukturen sind für ihn Kunst, weil Atome und Moleküle immer wieder neu „komponiert“ und bestaunt werden können. Wenn man es dann noch schafft, simple Reaktionen zu finden, ist das für den Wissenschaftler von einer „wunderbaren Eleganz“.
Elegant war auch, wie sein Labor 2018 die Synthese eines neuen Tuberkulose-Antibiotikums entdeckt hat. Was daran so besonders war? Maulide erklärt das – wie so oft– in Bildern: „Eine Synthese ist nichts anderes als eine Reise – Schritt zu Schritt, von A nach X. Ich sitze in der Währinger Straße 38 in Wien und will zum Stephansdom. Doch der direkte Weg ist nicht unbedingt der beste. Es kommt darauf an, welches Verkehrsmittel ich nehme und mit welchem Tempo ich fahre. Am Ende kann ich über Umwege schneller sein.“
So wie beim Antibiotikum. Er hat es geschafft, dass es produziert werden kann, ohne dass dabei Müll entsteht – heißt: Es gab keine unerwünschten Nebenprodukte. Elegant und nachhaltig. „Diese Nachhaltigkeit ist wichtig“, betont er.
Ohne Abfall Neues produzieren - dank Chemie
Kann Chemie wirklich ressourcenschonend sein? „Ja“, sagt der Wissenschaftler des Jahres. Für ihn ist es eine Art Lebensaufgabe zu zeigen, dass wir die Umweltprobleme ohne Chemie nicht lösen können. Schuld am schlechten Image der Chemikalien seien die Chemiker selbst, weil sie nicht erklären. Aber dass dem so ist, sei eine gesellschaftliche Katastrophe. Warum? Maulide erklärt das grundsätzlich: „Die Menschen sagen, sie wollen Essen und Wasser ohne Chemikalien. Dabei sind das aber nichts anderes als Chemikalien – alles, was uns umgibt, sind Chemikalien.“ Und diese will der Mensch dann lieber aus der Natur statt aus dem Labor – obwohl viele Stoffe 1 zu 1 den gleichen chemischen Aufbau haben.
Das habe auch Nachteile: „Wenn man etwas aus Natur nimmt, muss man Bäume, Fische oder Mikroorganismen töten. Wenn Stoffe hingegen im Labor hergestellt werden, muss man die Umwelt nicht belasten. Besonders dann, wenn dabei kein Müll entsteht, weil wir alle Atome verwenden .“ Das verstehen auch Nicht-Chemiker.
Dass sein Labor jetzt in Wien steht, ist kein Zufall: „Man hat mir hier das beste Angebot gemacht.“ Als Forscher denkt er global und nimmt die Stelle an, an der er am besten arbeiten kann. Doch auch wenn die Wissenschaft international ist, sei Uni nicht gleich Uni: „Eine Hochschule spiegelt immer die Forschungskultur des Landes wider. Die Universität Wien ist so, weil Wien so ist, wie es ist“, stellt er fest.
Wien: tolle Stadt, tolle Universität
Und wie fühlt er sich hier? „Die Wiener wissen manchmal gar nicht, dass sie in der lebenswertesten Stadt der Welt leben“, sagt er begeistert. Das vermittelt er auch Kollegen, die er von früher kennt und die seine Entscheidung für Wien einst etwas spöttisch kommentierten: „Wenn sie mich besuchen, zeige ich ihnen unsere Labors und organisiere Gespräche mit unseren Studenten und Forschern. Danach lade ich sie auf ein Essen ein, und da sagen sie mir: ,Nuno, du hast es hier gut‘“, schmunzelt er. Überhaupt: Maulide lacht gerne und viel.
Und er hat eine Botschaft: „Die Österreicher wissen oft nicht, dass sie mit der Uni Wien eine Top-Universität haben. Selbst die Studenten denken, dass sie nur mittelmäßig sind, weil die Uni in den Rankings nicht top ist. Dabei wird hier großartige Forschung gemacht.“
Zur Person:
Der 1979 in Lissabon geborene Nuno Maulide studierte in Paris und Belgien und ging danach für einige Monate nach Stanford / USA. Später wechselte er an das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung im deutschen Mühlheim/Ruhr. Mit nur 33 Jahren erhielt er den Ruf an die Uni Wien, wo er Professor für Organische Synthese wurde. Maulide erhielt zahlreiche Wissenschaftspreise.
Wissenschafter des Jahres
Der „Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten“ würdigt seit 1994 mit der Auszeichnung „Wissenschafter des Jahres“ Forscher, die sich bemühen, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Ausgezeichnet wurden u.a. der Komplexitätsforscher Stefan Thurner (2017) und Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer (2016).