Arzt attackiert die Pharma-Lobby
Von Ingrid Teufl
Ärzte sind die wichtigsten Multiplikatoren für Pharmakonzerne – diese agieren subtiler als noch vor einigen Jahren, um ihre Pläne umzusetzen. "Der wahre Skandal spielt sich im gesetzlichen Rahmen ab", schreibt Fahmy Aboulenein in seinem am Samstag erscheinenden Buch. Im KURIER-Gespräch gibt der Neurologe Einblicke in die Praxis des Klinikalltags und erklärt, wie Manipulationen stattfinden.
In Ihrem Buch gehen Sie sehr kritisch mit Ihren Kollegen, Mitarbeitern der Pharmaindustrie und auch mit dem Gesundheitssystem um. Was war Ihre Motivation?
Es ist bekannt, dass ich seit Jahren jede Zuwendung durch die Pharmaindustrie kategorisch ablehne. Ich verstehe nicht, warum Ärzte überhaupt etwas von einem Pharmakonzern bekommen sollen. Ich war selbst wissenschaftlich aktiv. Die Wissenschaft war für mich immer etwas, woran ich mich anhalten konnte. Man überprüft Arbeitshypothesen und vergleicht in den Datenbanken mit dem, was andere gefunden haben. Und dann kam es immer wieder vor, dass Ergebnisse, so gut sie auch waren, einfach nicht in der Fachwelt durchgedrungen sind. Weil sie nicht bestätigt haben, was andere angeblich gesehen haben. Dann habe ich erstmals mitbekommen, was da wirklich passiert. Dass nämlich die ganze Wissenschaft auch von den Pharmakonzernen unterlaufen ist.
Wie schaut das bei Studien aus?
Zwei Drittel der Studien werden von der Pharmaindustrie finanziell unterstützt oder in Auftrag gegeben. Studien müssten anders ablaufen. Pharmakonzerne sollten in einen Topf einzahlen. Die großen Zulassungsbehörden bestimmen dann objektiv, wie Studiendesign und Rahmenbedingungen für diese Wirkstoffe, die die Firmen für eine bestimmte Indikation testen lassen wollen, auszuschauen haben und ohne Beteiligungen der Pharmafirmen durchzuführen sind.
Wie kommt es, dass Ärzte und Pharmaindustrie so verzahnt sind?
Ärzte sind die wichtigste Zielgruppe für die Hersteller der Medikamente. Es ist ein in sich und durch sich gewachsenes System der Einflussnahme.
Es gibt viele Aspekte. Am Anfang stehen immer die Bauchpinselei, Einladungen zu Kongressen und Fortbildungen. Da darf man mitfahren, ist Teil von etwas, etwa bei großen Kongressen in luxuriösen Hotels. Man ist einer der Auserwählten. Dann wird man gefragt, ob man nicht einen Vortrag halten will. Und dann, ob man bei einem Expertengremium dabei sein will. Unter den Ärzten werden so Meinungsbildner – key opinion leaders – aufgebaut, die allen Ärzten die Vorteile eines bestimmten Medikaments vermitteln sollen.
Pharmareferenten kommen bei Ihnen gar nicht gut weg.
Sie sind doch nichts anderes als Verkaufsvertreter? Ich habe mich oft gefragt: Warum wird seitens der Spitalsverwaltungen und übergeordneten Behörden erlaubt, dass sie in Spitälern und Arztpraxen auftauchen?
Sie fordern ein Verbot.
Das Problem in diesem ganzen Spiel sind meiner Meinung nach die Gesetze. Sie erlauben, dass Pharmavertreter in die Spitäler kommen können – es darf nur nicht dem Dienst entgegenstehen. Es ist also nicht verboten und liegt im Ermessen des einzelnen Pharmareferenten zu empfangen oder nicht?
Ich würde mir überhaupt ein transparentes Gesundheitssystem wünschen. Wenn die Pharmaindustrie etwas zahlt, dann nur in öffentliche Fonds. Das eingezahlte Geld sollte transparent vergeben werden, etwa für Studien und Fortbildungen. Und schon zu Beginn der Medizinausbildung sollte Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es nicht in Ordnung ist, wenn man von Dritten etwas bekommt. Das hat immer den Touch einer Provision.
Sie schreiben, ein gutes Indiz für Unabhängigkeit ist eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung, aber sich auch eine gesunde Kritikfähigkeit zu erhalten. Kommt das heute zu kurz, wo das Motto immer öfter "immer schneller" lautet?
Die meisten Spitäler und großen Kassenpraxen sind zu Durchschleusemaschinerien verkommen. Die Patienten haben dadurch ein völlig falsches Verständnis von Medizin bekommen, teilweise auch durchs TV, und glauben, dass mit einer Blutabnahme und einem Ganzkörper-CT auf Knopfdruck eine Diagnose entsteht. Aber Einzeluntersuchungen bringen herzlich wenig, wenn die Fragestellung dahinter nicht passt. Die Durchschleusemaschinerie hat dazu geführt, dass immer mehr und immer schneller Medikamente verschrieben werden. Es ist leichter, ein Medikament zu verschreiben und zu sagen: Warten wir einmal drei Wochen ab, bis die Wirkung einsetzt. So dauert die Konsultation nur fünf Minuten, anstatt den Patienten ausführlich aufzuklären und zu untersuchen. Das dauert je nach Fach bis zu einer Stunde. Insgesamt ist immer weniger Zeit für den Patienten und die Krankengeschichte da.
Kann man als Patient überhaupt noch Vertrauen in die Ärzte haben?
Buch: „Die Pharma Falle – Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren“, Dr. Fahmy Aboulenein, Verlag edition a. 21,90 €. (Im Handel ab 9. April 2016). Doz. Fahmy Aboulenein, 43, ist Neurologe und leitet im SMZ-Ost (Donauspital) die Ambulanz für entzündliche Erkrankungen des Nervensystems.
TV-Tipp: Servus TV bringt am 14. April (22.15 Uhr) den Schwerpunkt „Die Machenschaften der Pharmaindustrie“. Im „Talk im Hangar-7“ diskutiert KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter mit Aboulenein, sowie Vertretern von Ärztekammer und Pharmig.
„Die Vorwürfe sind alter Wein in neuen Schläuchen. Da ist die Realität offenbar am Autor vorübergegangen.“ So kommentiert Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig)‚ die Vorwürfe des Neurologen Aboulenein.
Abouleneins Kritik an der Vergabe von Kongressplätzen durch die Pharmaunternehmen lässt Huber ebenso nicht gelten. „Am Ende des Tages entscheidet der Dienstgeber. Damit soll sichergestellt werden, dass weder der Arzt noch das Pharmaunternehmen einem Fehlverhalten unterliegen.“
Dass Pharmaunternehmen ihre Produkte an die Zielgruppe – also die Ärzte – bringen, dazu steht Huber. „Neue, hilfreiche Wirkstoffe sollen ja auch beim Patienten ankommen. Wenn es eine neue Therapie gibt, die besser ist als die frühere, muss man auch informieren.“ Das sei einerseits die Aufgabe der Pharmareferenten, die Kontakt zu den Ärzten halten. „Es ist gesetzlich geregelt, was sie dürfen.“ Andererseits setzt man auf key opinion leaders. „Diese Ärzte begleiten oft viele Jahre lang klinische Studien und geben ihr Wissen an Kollegen weiter. Dafür müssen sie sich vorbereiten und werden selbstverständlich dafür bezahlt.“