Neue Diskussion um die Bedeutung von Cholesterin
Von Ingrid Teufl
Bislang war in Sachen Cholesterin alles klar: Man unterscheidet "gutes" HDL- und "böses" LDL-Cholesterin. HDL schützt vor Herzkreislauf-Erkrankungen – je höher der Wert, desto besser. Therapieziele lagen daher oft in der Erhöhung der HDL-Werte, etwa durch mehr körperliche Aktivitäten und Ernährungsumstellung oder durch Senkung des LSL-Cholesterins mittels Medikamenten (Statine).
Bei dieser einfachen Herangehensweise könnte es sich jedoch um ein großes Missverständnis handeln. Laut amerikanischen Wissenschaftlern sind die positiven Effekte des HDL-Cholesterins in den vergangenen Jahren zu sehr hochgespielt worden. Für den Schutzfaktor von HDL sei nicht das Cholesterin selbst verantwortlich, es hängt offenbar ebenso stark von anderen Werten wie dem LDL-Cholesterin und den Triglyceriden ab.
Schutzfunktion
Unbestritten ist die schützende Rolle von HDL für Herzerkrankungen, betont der Kardiologe Michael Miller vom University of Maryland Medical Center, der an der Studie mitgearbeitet hat. Doch bisher habe noch niemand genau untersucht, ob Faktoren wie LDL-Cholesterin und Triglyceride das Risiko ebenso beeinflussen. Daher analysierten die Forscher die Daten aus einer großen Kohortenstudie. Für diese "Farmingham Heart Study" wurde die Herzgesundheit von 3590 Frauen und Männern zwischen 1987 und 2011 dokumentiert. Es stellte sich heraus, dass HDL nicht generell als Vorhersage für ein kardiovaskuläres Risiko gelten kann. Sowohl LDL-Cholesterin als auch Triglyceride (siehe Grafik) beeinflussten nämlich das Auftreten derartiger Erkrankungen deutlich.
Die Autoren betonen daher in ihrer im Fachblatt Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes veröffentlichten Studie: HDL sollte in der Risikobewertung nur an dritter Stelle stehen, hinter LDL an erster und Triglyceriden an zweiter Stelle.
Sind bisherige Therapien womöglich bald überholt? Nein, sagt Ao. Univ.-Prof. Thomas Stulnig, Leiter der Stoffwechselambulanz an der MedUni Wien. Den Zusammenhang von LDL und einer schädlichen Verengung der Gefäße haben bereits zahlreiche Studien belegt.
Bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung heißt es: Cholesterin-Werte (>240 mg/dl, Anm.), die grundsätzlich durch hohe LDL-Cholesterin (>160 mg/dl, Anm.) bedingt sind, würden überzeugende Beweise dafür liefern, im Laufe des Lebens eine koronare Herzkrankheit (KHK) zu erleiden.
Therapie
In erster Linie wird in der Therapie daher auf das LDL-Cholesterin geachtet. "Dieser Stellenwert ändert sich nicht, es kommen nur immer neue Daten dazu", erklärt Stulnig. "Aber man darf die anderen Blutfette nicht vergessen, das wurde in der Vergangenheit vielleicht etwas vernachlässigt."
Die Bedeutung der Triglyceride rückt erst jetzt in den Fokus. Ein Grund dafür ist die Zunahme stark Übergewichtiger. "Wir sehen heute häufiger eine isolierte Cholesterinerhöhung in Kombination mit Triglyceriden", sagt der Stoffwechselexperte. "Besonders ungünstig scheinen sich hohe Triglyceridwerte und niedriges HDL-Cholesterin auszuwirken."
Zweifel an hohen HDL-Werten mehren sich in Forscherkreisen seit einigen Jahren. Erst kürzlich hatte eine andere US-Studie die positiven Effekte infrage gestellt. In Laborversuchen wiesen Mäuse, denen ein bestimmtes Gen fehlte, trotz hoher Werte "guten" Cholesterins Gefäßverkalkungen auf. Die Autoren der University of Pennsylvania kamen zum Schluss, dass bei HDL-Forschungen künftig auch die Genetik berücksichtigt werden müsste.