Siegfried Meryn: „Es geht um die Menschenwürde“
Von Ernst Mauritz
Knapp 400.000 Menschen in Österreich können "als arm und mehrfach ausgegrenzt" bezeichnet werden, heißt es in einem Bericht der Armutskonferenz. Menschen in Haushalten unter der Armutsgrenze weisen einen drei Mal schlechteren Gesundheitszustand auf als solche in Haushalten mit hohem Einkommen. Die Initiative "Nein zu Krank und Arm" bietet besonders benachteiligten Menschen Unterstützung an – und wird ihrerseits von renommierten Künstlern unterstützt. Die Vorpremiere von Goldonis "Der Diener Zweier Herren" am 20. Mai in Wiener Burgtheater ist eine Benefiz-Veranstaltung zugunsten dieser Hilfsorganisation (siehe unten). Einer der Gründer der Initiative, der Internist Univ.-Prof. Siegfried Meryn,über die Ziele und Aufgaben.
KURIER: Wen unterstützt die Initiative "Nein zu Krank und Arm" derzeit am meisten?
Siegfried Meryn: 60 Prozent unserer Klienten sind Familien mit Kindern. Bei zwei Drittel dieser Familien wird alles von Alleinerzieherinnen – bzw. selten auch Alleinerziehern – gemanagt. 40 Prozent sind Einzelpersonen oder Paare. Unser Markenzeichen dabei ist die langfristige Hilfe – entwicklungsfördernde Therapien jeglicher Art bei Kindern und zum Beispiel Psychotherapien bei Erwachsenen. Hier besteht ein großer Bedarf für nachhaltige und langfristige Unterstützung, der sicher nicht kleiner geworden ist. Steigend ist der Bedarf an Beratung: Welche Unterstützungsmöglichkeiten zum Beispiel bei einer schweren Erkrankung oder Behinderung in Anspruch genommen werden können. Hier helfen wir, Zugangsbarrieren im Sozialsystem abzubauen.
Beispiel Therapien für Kinder: Wo gibt es Probleme?
Trotz gewisser Verbesserungen besteht in Österreich nach wie vor eine große Lücke von bis zu 80.000 vollfinanzierten Therapieplätzen für Kinder. Hier springen wir ein, wobei wir uns um eine dauerhafte Hilfe bemühen: Es ist zum Beispiel nicht effizient, eine Psychotherapie nur für zwei Monate zu finanzieren. Das dient lediglich der Gewissensberuhigung. Oft liegt das Problem auch darin, dass Eltern für ihre Kinder zwar eine kassenfinanzierte Therapie zugesagt wird, allerdings mit Wartezeiten von neun und mehr Monaten. Bei einem Kind mit einem Entwicklungsrückstand sind neun Monate aber eine Ewigkeit und durch das Warten geht wertvolle Zeit verloren – was den Behandlungserfolg deutlich verschlechtern kann. Da springen wir mit unserem Soforthilfefonds ein, überbrücken die Wartezeiten auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz. Psychotherapien und entwicklungsfördernde Therapien werden solange unterstützt, so lange es notwendig ist.
Hat sich etwas gebessert?
Punktuell, so gibt es jetzt in Wien zumindest sechs niedergelassene Kinderpsychiater. Aber der Bedarf ist noch lange nicht gedeckt. Und die Schicksale der Kinder und Jugendlichen sind zum Teil sehr bedrückend. Wir haben lange für ein 15-jähriges Mädchen die Kosten für die Psychotherapie übernommen. In einer schwierigen Phase, die einen stationären Aufenthalt notwendig gemacht hat, kam das Mädchen auf eine Erwachsenenpsychiatrie und hat während ihres Aufenthalts einen Suizid verübt. Niemand kann sagen, ob sie dies nicht auch während eines Aufenthalts auf einer Kinderpsychiatrie passiert wäre: Trotzdem darf es nicht vorkommen, dass Jugendliche auf Erwachsenenpsychiatrien untergebracht werden.
Sie besuchen mit von Ihnen betreuten Kindern auch ein Stadion oder die Oper.
Ja, ein großer Schwerpunkt ist unser Projekt "Max und Lara gehen in die Oper". Dabei wollen wir Kindern den Besuch von Kultur- und Sportveranstaltungen ermöglichen, dass sie eine Opern- oder Theateraufführung, ein Fußball- oder Eishockeymatch sehen können – alles Dinge, die sich ihre Eltern nicht leisten können und die sie oft zum ersten Mal erleben. Viele Institutionen unterstützen uns dabei großartig: Die Bundestheater, hier besonders auch die Volksoper, die Fußballklubs Rapid und Austria, oder die Vienna Capitals, um nur einige zu nennen. Es geht um die Würde des Menschen – und seine Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Als Erwachsener unterschätzt man das – aber für ein Kind bedeuten diese Ausflüge unglaublich viel. Und für ihre Entwicklung ist das von entscheidender Bedeutung.
Christian Stückl inszeniert am Burgtheater Goldonis "Der Diener Zweier Herren", u.a. mit Peter Simonischek, Markus Meyer, Mavie Hörbiger, Andrea Wenzl und Johann Adam Oest. Benefiz-Vorpremiere am 20.5., 19.30 Uhr, zu Gunsten von "Nein zu Krank und Arm". Kartenbestellungen: An allen Bundestheaterkassen, im Internet (www.burgtheater.at) oder telefonisch mit Kreditkarte: 01 / 513 1 513. Infos: 01 / 514 44 / 41 40, eMail: info@burgtheater.at
Wenn Sie am 20. 5. verhindert sind, können Sie durch eine Patenschaftsspende von 100 € kulturinteressierten Klienten von "Nein zu Krank und Arm" die Teilnahme ermöglichen. Spendenkonto: Erste Bank, IBAN AT 95 2011 1289 3091 9500
Die Studentin U. Z. ist vor rund zwei Jahren in eine schwere psychische Krise gefallen. Auf eine kassenfinanzierte Traumatherapie hätte sie monatelang warten müssen. Seit eineinhalb Jahren übernimmt "Nein zu Krank und Arm" die Kosten. "Mittlerweile ist die Therapie ein fixer Bestandteil meines Lebens geworden, eine Unterstützung, die (noch) nicht wegzudenken ist. Ich habe immer noch mit den gleichen Problemen zu kämpfen, aber ich bin nicht mehr allein damit und endlich ist Platz für all das, was mich so lange schon gequält hat. Ich studiere wieder, ich habe wieder Träume. All das wäre noch nicht vorstellbar gewesen, letztes Jahr um diese Zeit."