Reinhard Haller: „In jedem steckt ein Narzisst“
Er blickte schon in die seelischen Abgründe von Heinrich Gross, Jack Unterweger und Franz Fuchs. In seinem neuem Buch „Die Narzissmusfalle“ beschäftigt sich der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller nun aber mit einem Phänomen, das längst gesellschaftsfähig geworden ist. Früher, sagt Haller im KURIER-Gespräch, galt narzisstisches Verhalten als Makel und Sünde. „Heute ist es ein begehrenswertes Ideal. Die Menschen sind sehr Ich-bezogen. Mit ihren heutigen Möglichkeiten haben sie mehr Grund, selbstbewusst zu sein. Sie reisen, haben viele Krankheiten besiegt, sind frei und autonom wie noch nie zuvor.“ Und auch das Internet bietet sich als Spielwiese an. „Dort präsentiert sich der Cybernarzisst und tritt groß auf“, sagt Haller.
Mit ihrem unstillbaren Wunsch nach Anerkennung und Bewunderung sowie der übertriebenen Einschätzung der eigenen Wichtigkeit, begegnen uns Narzissten – laut Haller – überall. Von Machthabern, Künstlern, dem eigenen Ehemann bis hin zur Kollegin X, die ständig beleidigt ist oder Nachbar Y, der nur von sich spricht. „In jedem von uns steckt ein Narzisst. Die Grenze liegt dort, wenn es auf Kosten anderer geht“, sagt Haller. In gewisser Hinsicht ist Narzissmus auch gesund. „Die Dosis macht das Gift. In Maßen fördert er unseren Selbstwert. Aber Narzissmus verträgt sich nicht mit Solidarität und sozialer Intelligenz.“
Bösartig
Narzissten traktieren ihre Umgebung mit Mobbing, Stalking, Querulieren, anonymen Schreiben und manipulativem Schweigen. „Das gehört zu den schlimmsten Werkzeugen. In Partnerschaften löst dies oft Furchtbares aus. Der Narzisst ist sehr gekränkt und mit Schweigen drückt er Verachtung aus wie ‚Mit dir rede ich nicht, du bist kein Wort wert‘. Damit kann man in anderen Menschen sehr viel auslösen“, sagt Haller. Im Schweigen entwickelten auch Attentäter wie Anders Behring Breivik ihre Fantasien. „Sie wollen, wie Breivik, Europa retten, empfinden sich als wichtig in ihrer Rolle, aber niemand holt sie runter.“
Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit, Risikobereitschaft und Gefühlsarmut sind Eigenschaften, die Psychopathen zugeschrieben werden – sie treffen aber auch auf Börsenprofis zu. Wissenschaftler der Wirtschaftsuniversität St. Gallen haben die Profile von Bankern und Psychopathen verglichen und viele Parallelen entdeckt. Mit dem Unterschied, dass sich der Banker gesellschaftlich angepasst hat, der Kriminelle nicht.
Karrierefördernd
Der spanische Künstler Salvador Dalí, für Haller ein Parade-Narzisst, lebte seine Prinzipien: „Wer heutzutage Karriere machen will, muss schon ein bisschen Menschenfresser sein.“ Dalí galt schon im Kindesalter als schwierig. Um die Aufmerksamkeit seiner Eltern zu erlangen, stürzte er sich die Stiege hinunter. In der Kindheit liegen die Hintergründe fast aller Narzissten. Dort, so der Psychiater, gibt es zwei entscheidende Risikomomente. „Das überverwöhnte Kind ist der Star der Familie. Es lernt nicht, Niederlagen oder Schrammen zu ertragen, und wird zu einem verweichlichten, selbstverliebten Narzisst.“ Der andere Moment: „Wenn ein Kind keine Liebe bekommt, hat es immer Heißhunger nach Lob und Zuwendung. Es ist süchtig danach und bekommt nie genug davon. Solche Menschen neigen auch zu Mord- und Sexualstraftaten. Sie wollen Liebe erzwingen.“
Der Umgang mit schwer narzisstischen Menschen ist schwierig. „Eine Therapie ist meist aussichtslos“, sagt der Psychiater. Schwächer ausgeprägte Narzissten hält man einen Spiegel vor: „Hinterfragen sie und sprechen sie direkt an: ’Das ist also ihre größte Leistung?’“.
Einen Lichtblick sieht Haller dennoch: „Die Menschen fordern Gerechtigkeit. Das zeigen Diskussionen um überzogene Managergehälter, genauso wie die Veganer- oder Umweltbewegungen.“
Jeder Mensch trägt einen gewissen narzisstischen Anteil in sich. Je nachdem kommt dieser stärker oder schwächer zum Vorschein. Der Psychiater Reinhard Haller hat Narzissten in verschiedene Typen unterteilt. Wir haben uns erlaubt ihnen prominente Leidensgenossen an die Seite zu stellen.