Multiple Sklerose: Ein ganz besonderer Ironman
Von Ernst Mauritz
"Es begann mit einem anhaltenden Kribbeln in meinem rechten Fuß", erinnert sich Alfred Wukitsevits, 46. Das war vor acht Jahren, der burgenländische Kundenbetreuer einer großen Möbelkette war gerade beim Hausbauen, seine Tochter war zwei Jahre alt. "Mein erster Gedanke war, dass sich hier eventuell ein Bandscheibenvorfall ankündigt."
Tatsächlich waren es die ersten Symptome von Multipler Sklerose (MS) – der häufigsten Erkrankung des zentralen Nervensystems bei jungen Menschen. "Das Loch, in das ich gefallen bin, war tief – und schier ohne Boden."
In den ersten drei Jahren nach der Diagnose hat er sich nur zurückgezogen: "Ich hatte für nichts mehr Kraft. Es drehte sich alles nur um die Krankheit. Sie stand die ganze Zeit im Vordergrund, verdrängte alles andere."
In den Rucksack
Erst im Zuge einer vierwöchigen stationären Therapie gelang es ihm umzudenken. "Bis dahin trug ich die Krankheit vor mir her. Dort gelang es mir, sie in einen Rucksack zu packen und hinter mir auf den Rücken zu schnallen."
Wukitsevits fing wieder an zu joggen und radzufahren – in normaler Intensität. "Weil ich merkte, wie gut mir die Bewegung tut, habe ich begonnen, an Wettbewerben teilzunehmen. Darunter mehrere Triathlons in verschiedenen Distanzen, aber noch nie in der vollen Distanz." Höhepunkt seiner sportlichen Karriere soll am 2. Juli die Teilnahme am Ironman in Kärnten sein: 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen.
Wukitsevits erzählte seine Geschichte dieser Tage anlässlich des Welt-MS-Tages auch im Wiener AKH. Die Firma Merck zeigte dort in einem kleinen "MS-Haus", wie der Alltag vieler Patienten aussieht – wie es etwa ist, wenn man mit einem geschwächten Arm ein Kaffeehäferl hebt oder mit Gleichgewichtsstörungen über einen Teppich geht.
"Entscheidend ist ein frühzeitiger Behandlungsbeginn", betont Univ.-Prof. Eduard Auff, Leiter der Uni-Klinik für Neurologie des AKH Wien / MedUni Wien: "Und wir sehen heute enorme Fortschritte in der Therapie." Viele Patienten sind über lange Zeit ohne jegliche Krankheitsaktivität: Kein Schub, keine Anzeichen einer Verschlechterung, keine sichtbaren Zeichen einer Entzündung in der Magnetresonanztomografie.
Beratung
"MS hat viele verschiedene Verlaufsformen", sagt Kerstin Huber-Eibl von der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien. "Es gibt auch Patienten, denen es leider nicht so gut geht. Allen stehen wir beratend und begleitend zur Seite." Viele Patienten hätten auch Sorge, ihren Job zu verlieren – "es gibt Kündigungen in Zusammenhang mit der Krankheit". Auch Neuanstellungen seien oft ein Problem. Beratung zu neuen Medikamenten, die direkt in den Prozess der Krankheitsentstehung eingreifen, sei ebenfalls ein wichtiger Bereich: "Diese Präparate sind zwar wirksamer, können aber auch mehr Nebenwirkungen haben."
Triathlet Wukitsevits verträgt seine Therapie. Derzeit trainiert er 10 bis 15 Stunden die Woche für den Ironman. "Auch ich habe Tage, an denen ich müde und antriebslos bin, das Kribbeln im Bein sehr präsent ist, ich das Gefühl habe, schlecht zu sehen. Sport ist für mich – neben den Medikamenten– das wertvollste Mittel, MS im Griff zu halten. Seit ich damit begonnen habe, hatte ich keinen Schub mehr."
„Die meisten Menschen sind immer noch der Ansicht, Multiple Sklerose würde innerhalb kürzester Zeit zu schwerster Behinderung führen“, sagt Univ.-Prof. Thomas Berger, MS-Beauftragter der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie. Aber heute treffe das Bild vom MS-Patienten im Rollstuhl auf die wenigsten zu. So gebe es mittlerweile 13 zugelassene Medikamente, die vor allem die schubförmig verlaufende Form von MS gut beherrschbar machen.
Ein Vergleich von Umfragen der Österreichischen MS-Gesellschaft aus 2002 und 2012 zeigt: Bei der zweiten Umfrage schätzten die Patienten ihr Befinden um rund 30 Prozent besser ein als bei der ersten vor 15 Jahren. „Wir können die Patienten in Österreich gut unterstützen und uns die Therapien leisten“, sagt Univ.-Doz. Jörg Kraus, Präsident der Österreichischen MS-Gesellschaft: „Aber wir haben auch Sorgen. Für drei in Europa zugelassene Medikamente werden in Österreich die Kosten von den Kassen nicht breit erstattet.“