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Kippen des Rauchverbots für Top-Mediziner "skandalös"

"Aus öffentlicher Verantwortung als Medizinische Universität" wandten sich am Montag der Rektor der Medizinischen Universität Wien, Markus Müller, sowie der Leiter der Kardiologie von MedUni Wien und AKH Wien, Christian Hengstenberg, der Leiter der Pulmologie (Lungenheilkunde), Marco Idzko, und der MedUni-Wien-Arbeits- und Umweltmediziner Manfred Neuberger zum Thema Nichtraucherschutz an die Öffentlichkeit: Die Experten drängten auf ein komplettes Rauchverbot in öffentlichen Räumen und die Beibehaltung des ab 1. Mai ursprünglich geplanten kompletten Rauchverbots in der Gastronomie und stellten mit teilweise noch wenig bekannten Fakten die "desaströsen Effekte des Rauchens auf die Gesundheit" dar.

Drastisch formulierte es Marco Idzko, Leiter der Klinischen Abteilung für Pulmologie von MedUni Wien und AKH Wien: In Österreich gebe es zwar eine Spitzenmedizin, "aber wir schaffen es nicht, im Bereich des Nichtraucherschutzes die einfachste Sache umzusetzen. Das ist skandalös."

Auf einer neuen Website erklären zahlreiche Mediziner und Forscher der MedUni Wien in kurzen Statements, warum aus ihrer jeweils fachspezifischen Sicht (Passiv-)Rauchen gesundheitsschädlich ist.

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"Verantwortung für die Patienten"

"Wir haben bei uns die Verantwortung für sehr viele Patienten - mit 1,2 Millionen Patientenkontakten pro Jahr", betonte Rektor Müller. "Und viele Kollegen, die sich um Patienten kümmern, haben mit den Spätfolgen des Rauchens zu tun. Es gibt keine medizinische Spezialdisziplin, die nicht betroffen wäre, nicht nur Herz- und Lungenspezialisten." Konkret nannte Müller die Urologie (z.B. mit dem Harnblasenkrebs), die HNO-Medizin (Krebserkrankungen im Mund- und Kieferbereich), die Zahnmedizin und die Gynäkologie (z.B. Schädigungen von noch nicht geborenen Kindern, Frühgeburten).

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"Mit elf Prozent der Staatsausgaben für Gesundheit liegen wir an der Spitze - aber bei den Ergebnissen sind wir nicht an der Spitze", so Müller. "Besondere Sorgen macht uns der hohe Anteil junger, rauchender Frauen."

Und Müller weiter: "Viele unserer Kollegen im Ausland werden auf die Situation in Österreich angesprochen und tun sich schwer, diese zu erklären."

Acht Infarktpatienten am Sonntag - alles Raucher

"Wir sehen immer wieder, dass Rauchen sehr stark mit Herzinfarkten assoziiert ist", erläuterte Christian Hengstenberg, Leiter der Klinischen Abteilung für Kardiologie von MedUni Wien und AKH Wien. "Gestern, Sonntag, wurden am AKH acht Patienten mit Herzinfarkten behandelt, alle acht haben geraucht."

Es gebe mittlerweile aus vielen Ländern eine "erdrückende medizinische Evidenz, dass ein allgemeines Rauchverbot in öffentlichen Räumen zu positiven Gesundheitseffekten" führe. "Eine Begrenzung des Rauchens in öffentlichen Räumen hat zwei Effekte: Nichtraucher werden geschützt und Raucher rauchen weniger."

Das Wegfallen des Passivrauchens ist der Hauptgrund für den raschen Rückgang der Zahl der Herzinfarkte nach der Einführung des ausnahmslosen Rauchverbots für Gaststätten.

Der stärkste Rückgang zeigte sich dabei übrigens bei jüngeren Nichtrauchern, die häufig in Lokale gingen. Dies sei vor allem auf den Rückgang der Feinstaubbelastung zurückzuführen. Hengstenberg: „Die hohe Feinstaubbelastung beim Passivrauchen aktiviert sofort den Blutdruck, stört den Herzrhythmus, reduziert die automatische Erweiterung der Herzkranzgefäße, um ausreichend Sauerstoff zur Verfügung zu stellen und erhöht die Blutgerinnung.“

Die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie teilte am Montag mit, dass es pro Jahr in Österreich 1000 Tote durch Passivrauchen gebe.

Lähmung des Reinigungsmechanismus

Aber auch die Auswirkungen auf die Lunge sind stärker als vielfach bekannt. „Die Inhalation von Zigarettenrauch führt mit jedem Atemzug zur ,Lähmung` der Flimmerepithelien („Flimmerhärchen“, Anm.), die durch den Abtransport von eingeatmeten Partikeln wie Allergenen, Viren oder Bakterien eine wichtige Rolle in der Immunantwort spielen", so der Pulmologe Marco Idzko.

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Durch das Einatmen von Zigarettenrauch kommt es auch zu einer akuten Entzündung in den Atemwegen – eine schwere Lungenschädigung (z.B. COPD oder Lungenemphysem) oder Lungenkrebs – durch das Einatmen von krebserregenden Stoffen – können langfristig die Folge sein.

COPD ist dritthäufigste Todesursache

"Wir wissen, dass die dritthäufigste Todesursache weltweit COPD (eine chronisch entzündliche Lungenerkrankung, Anm.) ist . 90 Prozent der Patienten in Europa haben die Erkrankung bekommen, weil sie geraucht haben - nicht nur aktiv, das sind auch viele jahrelange Passivraucher."

Als Berufskrankheit anerkannt

Laut dem Arbeits- und Umweltmediziner Manfred Neuberger scheiden nichtrauchende Angstellte im Gastgewerbe bis zu 25 Mal mehr Nikotin im Harn aus als an ihren freien Tagen, die Konzentration krebserregender Substanzen im Harn ist um das 4,5-fache erhöht. Erst vor kurzem wurde bei einer Kellnerin eine COPD-Lungenerkrankung als Berufskrankheit anerkannt. Andere durch Passivrauch Geschädigte sollten sich jetzt ebenfalls melden und versuchen, diese Anerkennung zu erhalten. Das Lungenkrebskrisiko von Passivrauchern in der Gastronomie verdopple sich alle acht Jahre: "Innerhalb von 40 Berufsjahren kann es sich verzehnfachen."

Jugendschutz-Pläne: "Heuchelei"

Laut Neuberger komme es durch Rauchverbote zu einer Abnahme der Frühgeburten um zehn Prozent, die Aufnahme von Kindern in Spitälern wegen Verschlechterungen einer Asthma-Erkrankung sinke um zehn bis 18 Prozent, und stationäre Aufnahmen wegen Lungenentzündungen gingen um 14 bis 18 Prozent zurück.

Als "Heuchelei" bezeichnete Neuberger die Pläne der Bundesregierung, den Jugendschutz zu verstärken: "Viele Maßnahmen fehlen." Denn bereits im März 2017 hätten die Landesjugendreferenten die Anhebung der Altersgrenze für das Rauchen von 16 auf 18 Jahre beschlossen. Versagt hätte die Regierung beim "Mystery Shopping" in Trafiken und der Abschaffung der Zigarettenautomaten: "Diese sind bereits in mehr als der Hälfte der EU-Länder abgeschafft." Und viele Studien hätten gezeigt, dass die Alterskontrolle bei den Automaten "nicht funktioniert".

Die "Don`t smoke"-Initiative gab am Montag bekannt, dass bereits rund 536.000 Menschen eine Unterstützungserklärung gegen den Plan der türkis-blauen Regierung, das Gastro-Rauchverbot zu kippen, abgegeben haben.