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Mediziner-Alarm: Krebstherapien sind in Gefahr

Wiener Onkologen schlugen Dienstag Alarm: Österreichs Spitzenplatz bei der Krebsbehandlung "ist ohne Aufstockung des Personals und ohne weitere Hilfestelung seitens der Regierung" massiv gefährdet. "Wir haben das Interesse, dass die bisherige Qualität gewahrt bleibt, aber das ist schwierig, wenn die Ärzte nur mehr 48 Stunden arbeiten dürfen" und es nicht mehr Ressourcen gebe, so Univ.-Prof. Christoph Zielinski, Koordinator des Comprehensive Cancer Center (CCC) von MedUni Wien und AKH Wien sowie Begründer der Initiative "Leben mit Krebs".

"Ich sehe eine außerordentliche Gefährdung für das Land, was Wissenschaft und Forschung betrifft", so Zielinski: "Wenn hier keine Qualitätssicherung stattfindet, sehe ich Österreich in der Provinzialität versinken."

Deutlich längere Wartezeiten

Wie akut die Problematik ist, schilderte der Programmdirektor für Brustkrebsforschung an der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Wien und des AKH, Univ.-Prof. Günther Steger: "Noch bis vor kurzem bekamen Patientinnen nach einer Brustkrebsdiagnose bei uns einen Termin innerhalb von ein bis drei Tagen. Jetzt sind es zehn bis 14 Tage. Sie können sich vorstellen, was das für die Betroffenen bedeutet - und auch uns macht das täglich große Sorgen. Und ich fürchte, das wird noch schlimmer." Man könne nicht mit eineinhalb Ärzten 40 Patienten an einem Tag qualitativ hochwertig versorgen.

Vor zwei bis drei Jahren noch sei Österreich Europameister beim raschen Zugang für Patientinnen und Patienten zu neuen Therapien gewesen. Der Grund: Da zum Beispiel das AKH in viele internationale Studien eingebunden war, konnten Innovationen rasch den Patienten zur Verfügung gestellt werden. In anderen Ländern hingegen dauere das bis zu vier Jahre. Doch ohne ausreichendes Personal werde es nicht mehr möglich sein, an vielen Studien teilzunehmen: "Und der internationale Anschluss ist schnell verloren, innerhalb von ein bis zwei Jahren. Wenn wir aber jetzt den Anschluss verlieren, dann ist es vorbei." Ein vorübergehendes Zurückschalten sei nicht möglich.

"Rotorblatt würde schon helfen"

Zielinski verwies darauf, dass innerhalb weniger Tage die Regierung ein "Sicherheitspaket" um einen dreistelligen Millionenbetrag beschlossen habe. Die Sicherheit der Krebspatienten sei aber mindestens genauso wichtig: "Wir hätten gerne ein Rotorblatt von einem Hubschrauber. Das würde uns schon helfen."

Der Onkologe will, wenn nichts anderes mehr hilft, gemeinsam mit den Patienten einen Protest starten: "Jedes Jahr erhalten in Österreich 35.000 Menschen die Diagnose Krebs, mit den Angehörigen sind jährlich einige hunderttausend Menschen betroffen. Wenn die Politik nicht versteht, dass diese Patienten die beste Versorgung benötigen, werden wir sie mit den Patientinnen und Patienten einfordern müssen. Das kann eine Wahl entscheiden."

Im Ringen um höhere Grundgehälter und bessere Arbeitsbedingungen haben sich die AKH-Ärzte jetzt Verstärkung aus Deutschland geholt. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der deutschen Bundesärztekammer, hielt bei der gestrigen Betriebsversammlung einen Gastvortrag zum Thema Ärzteproteste und Tarifverhandlungen in Deutschland.

Sein Rat an die österreichischen Kollegen: "Ganz ohne Kampf wird es nicht gehen", betont er im KURIER-Gespräch. Montgomery weiß, wovon er spricht: Als seinerzeitiger Gewerkschaftschef organisierte er 2006 den großen deutschen Ärztestreik, bei dem vorübergehend knapp 14.000 Spitalsärzte ihre Arbeit niederlegten. Mit Erfolg: Die Forderung der Mediziner nach mehr Gehalt wurde schließlich umgesetzt. Damit konnte auch das Abwandern von Jungärzten in Länder mit attraktiveren Gehaltsmodellen gebremst werden – ein Problem, unter dem auch Wiens Spitäler zu leiden haben.

Hoffen auf Einigung

Konkrete Streikpläne gibt es derzeit in Wien noch nicht. Noch hoffen die AKH-Ärzte auf eine baldige Einigung im Gehaltsstreit, der nach der gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Wochenstunden entbrannt ist. Ausschließen wollen die Mediziner Kampfmaßnahmen im Falle eines Scheiterns aber nicht.

"Streik ist ein Arbeitnehmer-Recht, dass man auch den Ärzten zubilligen muss", sagt Montgomery. Wichtig sei aber, dass man damit die Arbeitgeber und nicht die Patienten trifft. "Die Notfall-Versorgung muss stets gewährleistet bleiben." In Deutschland ist dies seinerzeit gelungen, selbst am Höhepunkt der Auseinandersetzung standen deshalb mehr als 80 Prozent der Bevölkerung hinter den Forderungen der Ärzte, erzählt der Ärztekammer-Chef.

"Bis Mitte Februar muss eine Lösung auf dem Tisch liegen, sonst muss eskaliert werden", sagt Martin Andreas, Personalvertreter der AKH-Ärzte Dienstagnachmittag nach der Betriebsversammlung, an der knapp 400 seiner Kollegen teilnahmen.

Zunächst sei aber nur an Proteste und Betriebsversammlungen – auch in der Kernarbeitszeit am Vormittag – gedacht. "Ein Streik kann nur die letzte Instanz sein." Nachsatz: "Die Bereitschaft dafür ist unter den Kollegen aber gegeben, sollte es tatsächlich keine Lösung geben. Die Akutversorgung der Patienten muss jedoch auf alle Fälle gesichert bleiben."